Dammelwitz (Danielowice)

 


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Dammelwitz, der Geburtsort meiner Mutter, liegt rund 15 Kilometer südwestlich der niederschlesischen Kreisstadt Ohlau (Oława). Der Ort wird im 13. Jahrhundert als "Danielowicz" erstmals urkundlich genannt. Wie Friedrich Albert Zimmermann 1783 in seiner "Beschreibung des Olauschen Kreises" berichtet, war das Vorwerk, also das Herrschaftsgut im Ort, im Besitz des Ohlauer Landrats Johann Georg v. Kottulinski (er bekleidete das genannte Amt von 1762 bis 1781) gewesen, gehörte aber gegenwärtig (1783) dem Herrn v. Hahn. Die Siedlung bestand damals, neben dem Vorwerk mit dem herrschaftlichen Wohnhaus, aus 8 Gärtnerstellen und einer Windmühle und wurde von 85 Einwohnern bewohnt. Diese, so führt Zimmermann weiter aus, "sprechen deutsch und sind evangelisch".1

Spätestens im 19. Jahrhundert ist das Vorwerk in bürgerliche Hände übergegangen; nach dem Güteradressbuch von 1876 war es im Besitz von Wilhelm Anders. Zwischen 1886 und 1891 ist es dann wohl an dessen Sohn Fritz Anders übergegangen. Zu dieser Zeit umfasste das Gut Dammelwitz einen Flächeninhalt von 135 Hektar; 121 Hektar davon waren Äcker, 5 Hektar Wiesen und 5 Hektar Wald. Beim Gut befanden sich noch 8 Wohnhäuser in denen 48 Menschen wohnten. Diese bewirtschafteten zusammen eine Grundfläche von nur 10 Hektar, davon 6 Hektar Ackerland. Der Gutsbetrieb, auf dem in zwei Wohngebäuden insgesamt 52 Personen lebten, war nach wie vor der Hauptarbeitgeber und die Lebensgrundlage der Dammelwitzer. Die 67 Protestanten im Dorf gehörten zur Kirchengemeinde Großburg (Borek Strzeliński); die 33 Katholiken besuchten den Gottesdienst im benachbarten Thomaskirch (Domaniów). Zwischen 1898 und 1902 wurde das Vorwerk von Ludwig Stein, dem Besitzer des südlich benachbarten Gutes Kochern (Kuchary) erworben. 1912 findet sich Friedrich Stein als Besitzer von Dammelwitz im Güteradressbuch; 1917 dessen Erben. Gutspächter war damals Walter Schumann, der Besitzer des nur einen knappen Kilometer von Dammelwitz entfernten Gutes Eulendorf (Gostkowice).2

 

Die Familie Geppert 1931. Vorne von links: Pauline, geb. Krause mit Enkel Karl Hermann, deren Mann Reinhold sen., die unverheiratete Tochter Lisbeth. Dahinter von links: Frieda, geb. Glemnitz, deren Mann Gerhard und Reinhold jun.

(Repro: H. Stark)

1937 gehörte das Gut Dammelwitz der Schlesischen Landgesellschaft in Breslau, einem nach dem Reichssiedlungsgesetz anerkannten gemeinnützigen Siedlungsunternehmen, das sich um die Neuansiedlung von landwirtschaftlichen Betrieben und die Aufstockung von Kleinbetrieben auf Erbhofgrößen bemühte.3 Auch das Areal des Gutes Dammelwitz wurde aufgeteilt; es entstanden vier "Neubauernstellen", für die auch von der Deutschen Siedlungsbank in Berlin Kredite gegeben wurden, und auch die Besitzer einiger anderer Anwesen im Dorf scheinen Nutzflächen erworben zu haben, um überlebensfähige Betriebe in "Erbhof-Größe"4 zu erhalten. Eine der genannten Neubauernstellen wurde im 4. Quartal 1937 für etwa 44.000 RM von meinem Urgroßvater Reinhold Geppert erworben.5 Sein älterer Sohn Gerhard, wegen eines Unfalls im Kindesalter gehbehindert, hätte nach dem Willen seines Vaters eigentlich Lehrer werden sollen. Da er jedoch lieber Landwirt werden wollte und der elterliche Hof in Pampitz seinem jüngeren Bruder Reinhold vorbehalten war, kaufte ihm der Vater eine Neubauernstelle in Dammelwitz. Diese umfasste - nach den von meiner Großmutter Frieda Geppert im Antrag auf Lastenausgleich gemachten Angaben - landwirtschaftliche Nutzflächen im Umfang von 21 Hektar. Davon entfielen 0,5 Hektar auf Haus- und Obstgärten und 0,5 Hektar auf Hofraum und Wege. Die restlichen 20 Hektar waren in der Regel mit Weizen, Zuckerrüben und Gemüse angebaut. Das Wohnhaus ist noch im Jahr des Erwerbs (1937) aufgestockt und umgebaut worden. Es hatte eine Grundfläche von 10 mal 19 Metern, umfasste das Parterre und ein Obergeschoss. Allerdings war die Wohnung im Obergeschoß an den Rentner Wilhelm Malitzke und dessen Frau Elisabeth 6 vermietet. Zum Hof gehörten noch ein massiv errichteter Stall von 28 mal 10 Metern Grundfläche unter einem Ziegeldach, eine 12 mal 33 Meter große, massive Scheune mit Ziegeldach, ein Grünfuttersilo, 1 Hühnerstall und ein Kartoffelsilo. Neben dem Betriebsinhaber Gerhard Geppert und seiner Ehefrau Frieda, geborene Glemnitz, fanden auf dem Anwesen 5 weitere Menschen Lohn und Brot. In den Ställen standen vor der Vertreibung 10 Kühe, 3 tragende Kalben, 2 Zugochsen, 5 Kälber, 15 Schweine, 2 Schafe, 60 Hühner (weiße Wagandotten) und 5 Enten. An landwirtschaftlichen Geräten standen eine Dreschmaschine mit Reinigung, eine Strohpresse, eine Häckselmaschine, ein Getreidemähbinder, eine Sämaschine, ein Flügelmäher, 1 Grasmäher und 3 Pferdewagen zur Verfügung. Die Kraft in der Scheune lieferten zwei Elektromotoren.7 Auf dem Anwesen lastete ein Kredit von der Deutschen Siedlungsbank in Berlin in Höhe von 35.667,07 RM. Bis zum 27. Dezember 1944 waren davon 5.000 RM abbezahlt worden.8 Einen kleinen Einblick in den Ertrag des Geppertschen Anwesens liefert ein am 19. November 1962 beim Landratsamt Wunsiedel aufgenommenes Protokoll, in dem meine Großmutter zu ihrem Girokonto beim Ohlauer Bankverein aussagte: "Hinsichtlich des Girokontos habe ich nur das Gegenbuch retten können. Es stimmt, daß dieses Gegenbuch nur hin und wieder zur Geldanstalt gebracht worden war, damit die inzwischen erfolgten Buchungen nachgetragen werden konnten. Seit dem 15. November 1944 hat dieses Buch bei der Bank nicht nicht mehr vorgelegen. Als Zugänge hätten eigentlich noch erfolgen müssen:

  1. die Gutschrift für die Zuckerrübenlieferung an v. Rath, Schoeller & Skene in Klettendorf9

  2. die Gutschrift für Getreidelieferungen an die Firma Niesel & Söhne (Es kann sein, daß diese Lieferungen zum Teil mit den Düngemittellieferungen dieser Firma zur Verrechnung gekommen sind)

  3. die Gutschrift für die Milchlieferungen an die Molkerei Groß Peiskerau10

  4. die Gutschriften für die Gartenbauerzeugnisse. (Es war noch 1 Waggon Kürbisse zur Lieferung gekommen."11

Großmutters Angaben decken sich - zumindest was die Größe der landwirtschaftlichen Nutzfläche anbelangt - mit den Erkenntnissen der Heimatauskunftsstelle für den Bezirk Breslau. Diese führt in ihrer Betriebsliste für Dammelwitz folgende landwirtschaftlichen Anwesen12:

 

Geister, Johann

8.75

ha

Jaekel, Selma, geb. Jaekel

5.18

ha

Kupka, Hermann

10.81

ha

Frohnrath, Ruth, geb. Müller

9.1288

ha

Geppert, Gerhard

21.00

ha

Persitzky, Fritz

16.66

ha

Schmidt, Richard

17.14

ha

Schuhmann, Walter

176.60

ha

Stein, Klaus-Peter

59.4770

ha

Heckert, Adolf

0,65

ha

Müller, Reinhold

1.35

ha

Horlitzner, Franz

2.10

ha

Mehlan, Franziska

1.39

ha

Pantke, Josef

0.83

ha

Die aufaddierte Gesamtfläche von knapp 332 Hektar überstieg den Umfang der Gemarkung Dammelwitz. Deshalb ist auf der Betriebsliste vermerkt: "Die Differenz in der Hektarfläche der Gemeinde Dammelwitz lag in den Gemeinden Radwaldau und Thomaskirch und gehörte zum Rittergut Eulendorf, Besitzer Walter Schumann."

Am 26. Januar 1945 kam dann das Ende der deutschen Besiedelung in Dammelwitz. Auf Befehl der Ortsgruppenleitung Klein-Peiskerau wurde das Dorf vor der heran nahenden Roten Armee evakuiert. Am Nachmittag um 16.00 Uhr brach der Flüchtlingstreck in Dammelwitz auf. Ortsvorsteher Hermann Kupka berichtete später "der Fluchtweg ging geschlossen mit Pferdewagen von Dammelwitz über Kochern, Großburg Richtung Zobten, Schweidnitz, Waldenburg nach Göhlenau. Nach 8 Tagen Aufenthalt weiter über Josefstadt, Königsgrätz um Prag herum nach Kladno, Pilsen bis Tannawa, Kreis Bischofteinitz. Nach 10 Wochen Aufenthalt und Besetzung der Amerikaner ging es nach Waldmünchen, Fuchsmühl, Vohenstrauß, Marktredwitz nach hier" (Marktleuthen im bayerischen Landkreis Wunsiedel). Zwei Personen waren in Dammelwitz zurückgeblieben und dort ums Leben gekommen, 2 Personen sind auf der Flucht gestorben und 3 Personen kehrten nach Kriegsende zurück in die Heimat, wurden aber wieder ausgesiedelt.13

 

Das Anwesen meiner Großeltern in Dammelwitz heute (2009). Das langgestreckte Wohnhaus bestand ursprünglich aus zwei Gebäuden die 1957 durch einen Zwischenbau miteinander verbunden waren. Daneben der Stall (Foto: H. Stark)

Obgleich der Ort - wie Hermann Kupka schreibt - zu zwei Dritteln durch Beschuß zerstört worden ist, blieb das Anwesen meiner Großeltern unbeschädigt. Emma Glemnitz, die Mutter von Frieda Geppert, die aus Ohlau geflüchtet aber von Friedland aus zu Pfingsten wieder zürckgekehrt war, übernachtete vom 16. auf den 17. Mai auf dem Geppert'schen Hof in Dammelwitz. In einem Brief vom 4. November 1945 berichtet sie von Ohlau aus ihrer Tochter in Leuthenforst bei Marktleuthen: "Mittwochs waren wir in Dammelwitz übernachtet, haben mit Fritz noch tüchtig Dreck aus den Stuben geschafft, Schränke und Bettstellen auch in der Küche war noch alles."

Dammelwitz hatte nach der Volkszählung von 1939 zusammen mit dem Ortsteil Eulendorf 158 Einwohner. Ihre Namen und ihr Schicksal während und unmittelbar nach der Flucht sind in den Listen der "Ost-Dokumentation 3" dokumentiert. Auch meine Großmutter "Elfriede Geppert, geb. Glemnitz" mit ihren drei Kindern Karl, Ingrid und Bärbel ist darin verzeichnet. Wie es in der Liste heißt, hatten sie in "Leuthenforst b. Marktleuthen" eine neue Bleibe gefunden. Der Ehemann und Vater Gerhard Geppert - seit März 1944 zur Wehrmacht eingezogen - ist seit Januar 1945 bei Litzmannstadt vermißt.

Am 30. September 2009 - fast 65 Jahre nach der Vertreibung - kam ich zum ersten Mal gemeinsam mit meiner Mutter nach Dammelwitz. Trotz der von Hermann Kupka überlieferten großflächigen Zerstörung von Dammelwitz trafen wir erstaunlich viel alte Bausubstanz an. Die Wirtschaftsgebäude des ehemaligen Dominiums, in dessen Umgriff auch die Neusiedlerstelle meiner Großeltern gelegen hatte, scheinen weitgehend unbeschädigt geblieben zu sein. Allein das ehemalige Herrenhaus musste nach dem Zweiten Weltkrieg einem in Betonwürfelbauweise mit Flachdach errichteten Schulgebäude weichen, dass ganz und gar nicht in seine Umgebung passen will. Zu gerne wüsste ich, wie das alte Herrenhaus ausgesehen hat. Leider konnte ich bisher kein Bild davon auftreiben. Im verwilderten Park, südwestlich des neuen Schulhauses, hat sich über dem Ufer eines mit Wasserlinsen begrünten Weiher die Ruine eines in klassizistischem Stil erbaut gewesenen Mausoleums erhalten. Im Inneren liegen die Trümmer des eingestürzten Daches und allerlei Gerümpel. Die in den Wänden ausgesparten hochrechteckigen Nischen für die Inschriftplatten sind leider leer. Der Gutshof selbst dient bis heute dem Betrieb einer landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft.

Harald Stark 12/09

 
Die Ruine des Mauseoleums in Dammelwitz (Foto: H. Stark, 2009)

Schloss Dammelwitz vor 1945 - An Stelle dieses Gebäudes steht heute die Schule (Foto: Arno Stein)

 

 

1Friedrich Albert Zimmermann: Beyträge zur Beschreibung von Schlesien, 3. Stück, Brieg 1783, S. 42, 50, Nr. 7

2Schlesische Güteradressbücher 1870 - 1937, CD-Edition Hrsg. vom Museum für schlesische Landeskunde im Haus Schlesien, Königswinter 2004; Gemeindelexikon für das Königreich Preußen, VI. Provinz Schlesien, Berlin 1887, S. 108, 112.

3Landentwicklung aktuell - Von der ländlichen Siedlung zur integrierten Landentwicklung, hrgs. vom Bundesverband der gemeinnützigen Landgesellschaften, Bonn 1999, S. 8 ff.

4Erbhöfe nach dem Reichserbhofgesetz vom 29.09.1933 mussten "mindestens die Größe einer Ackernahrung haben". Die Höchstgrenze lag bei 125 Hektar. Die Ackernahrung, also die Mindestgröße der landwirtschaftlichen Nutzfläche, die zur Existenzsicherung eines bäuerlichen Familienbetriebes notwendig ist, wurde damals mit 7,47 Hektar angegeben.

5Deutsches Bundesarchiv - Lastenausgleichsarchiv Bayreuth ZLA1/1303151, fol. 15, 19

6Elisabeth Malitzke starb auf der Flucht

7Deutsches Bundesarchiv - Lastenausgleichsarchiv Bayreuth ZLA1/1303151, fol. 9 - 10R

8Deutsches Bundesarchiv - Lastenausgleichsarchiv Bayreuth ZLA1/1303151, fol. 13R

9Wohl Klettendorf, Stadtteil von Breslau, poln. Klecina

10Poln. Piskorzów

11Deutsches Bundesarchiv - Lastenausgleichsarchiv Bayreuth ZLA1/1303151, fol. 36

12Deutsches Bundesarchiv - Lastenausgleichsarchiv Bayreuth HASt. 17, Gemeindeakten - Betriebslisten Ohlau, Bd. 1 - A - F

13Deutsches Bundesarchiv - Lastenausgleichsarchiv Bayreuth, Ostdokumentation I, Nr. 218 (Bericht von Hermann Kupka, Habnith 11 bei Marktleuthen )