Culmitz, Döbrastöcken und die Familie
Heusinger von Waldeck

Wer heute auf der Bundesstraße 173 von Hof durch den Frankenwald in Richtung Kronach fährt, nimmt von dem Dorf Culmitz kaum Notiz und dies obwohl es unmittelbar südlich der Schnellstraße im Tal des Culmitzbaches liegt. Noch versteckter liegt die Streusiedlung Döbrastöcken, deren sieben Anwesen zwischen Poppengrün, Döbra und Kleindöbra in das spätere „Waldecksholz“ hinein gerodet wurden. Zur Zeit seiner ersten urkundlichen Erwähnung 1464 war Culmitz in den Händen der Familie von Wildenstein. 1589 wechselte es in den Besitz der vogtländischen Adelsfamilie von Geilsdorf, von der es 1641 an die Familie von Reitzenstein gelangte. In der Urkunde, mit der Markgraf Christian zu Brandenburg-Kulmbach 1641 Christoph Wilhelm von Reitzenstein mit den von Adam von Geilsdorf erworbenen Gütern belehnte, werden auch mehrere Güter „in den Stöcken bey Döbra“ erwähnt.

Die Heusinger von Waldeck, eine briefadelige Familie

Am 19. November 1683 verkaufte Christoph Carl von Reitzenstein „das Holz, die Döbra genannt“, sechs Güter zu Döbrastöcken, das Rittergut Culmitz und den Culmitzhammer mit der daran gebauten Mühle für 4600 fränkische Gulden und 50 Reichstaler Leihkauf an den Lauensteiner Amtmann Johann Caspar Heusinger von Waldeck. Noch dessen 1634 wohl an der Pest verstorbener Großvater, Hans Heusinger, war Wirt in Lanzendorf gewesen. Erst Johann Caspars Vater, der Pfarrer Johann Heusinger, der 1673 als Superintendent in Wunsiedel starb, war 1651 zusammen mit seinen im Dreißigjährigen Krieg zu Kriegsruhm in der kaiserlichen Armee gelangten Brüdern Wolfgang und Heinrich durch Kaiser Ferdinand III. mit dem Prädikat „von Waldtegg“ in den Adelsstand erhoben worden.

Das Schloss in Culmitz und das Vorwerk Döbrastöcken

Wie der Lehrer und Gemeindeschreiber J. A. Kolb in seinem 1874 verfassten „Gemeinde-Buch für Culmitz, kgl. Bezirksamt Naila“ überliefert, hatte Hans Philipp von Wildenstein 1615 oberhalb des Culmitzhammers ein neues Schloss erbauen lassen. Dieses war jedoch gegen Ende des 18. Jahrhunderts bereits so zerfallen, dass aus dessen Steinen 1786 das Bauernhaus Nr. 23 beim Culmitzhammer erbaut wurde. Auch wenn die Lehenurkunden und andere Dokumente, die ich danach durchsucht habe, von diesem Edelsitz schweigen, so zeugt doch die um 1720 wahrscheinlich vom Kartographen Johann Georg Dülp gezeichnete „Carte Special von dem Vogtey Ambt Nayla und der Gerichte Bernstein und Schwartzenbach“ von diesem „Chateau Mons. Waldeck“ oberhalb des Culmitzhammers.
Der am 28. Januar 1686 von Markgraf Christian Ernst über die Erwerbungen Johann Caspar Heusingers von Waldeck ausfertigte Lehenbrief schließt auch dessen Brüder, den ehemaligen Himmelkroner Amtmann Johann Heinrich Heusinger von Waldeck und den Hofer Superintendenten Joseph Friedrich Heusinger von Waldeck als Mitbelehnte ein. Ferner heißt es darin, dass der genannte Joseph Friedrich Heusinger von Waldeck die drei bisher von Johann Kießling, Andreas Weber und Heinrich Franck besessenen Güter in Döbrastöcken gekauft habe, um daraus ein Vorwerk zu machen. Nach Meyers Conversationslexikon von 1860 handelt es sich bei einem Vorwerk um ein zu einem Landgut gehöriges, zur Bewirtschaftung der entlegenen Felder angelegtes und mit den erforderlichen Wirtschaftsgebäuden versehenes Gehöft.

 


Auszug aus der "Carte Special von dem Vogtey Ambt Neyla", gezeichnet von Nicki Lang, Kulmbach 2018

 

Schon einen Tag nach der Belehnung durch Markgraf Christian Ernst kaufte der Hofer Superintendent Joseph Friedrich Heusinger von Waldeck das Vorwerk Döbrastöcken von seinem Bruder. Am 4. Dezember 1689 wurde er von Markgraf Christian Ernst mit demselben belehnt. Der Fürst hatte das Vorwerk Döbrastöcken als Mannlehen vergeben und mit den Rechten der Vogtländischen Ritterschaft ausgestattet. Damit hatte er es rechtlich den anderen Rittergütern in seinem Fürstentum gleichgestellt.

Joseph Friedrich Heusinger von Waldeck

Dieser ist am 23. September 1641 in Lindenhardt bei Creußen geboren worden, wo sein Vater Johann Heusinger von Waldeck von 1637 bis 1646 Pfarrer gewesen war. Auch er wählte den geistlichen Beruf und wurde 1667 als Pfarrer in Marktleuthen im Fichtelgebirge installiert. Dort wirkte er jedoch nur kurz, wurde er doch schon 1670 als Syndiakon nach Wunsiedel berufen. Es folgte 1674 eine kurze Episode als Feldprediger beim Fränkischen Kreisregiment, bis Joseph Friedrich Heusinger von Waldeck 1679 als Superintendent nach Hof berufen wurde, wo er gleichzeitig als Professor der Theologie und Inspektor am Gymnasium wirkte.
1691 erwarb er von seinem Bruder Johann Caspar, der sich zwischenzeitlich in Oberzoppten bei Propstzella niedergelassen hatte, zu seinem Vorwerk Döbrastöcken auch das Rittergut Culmitz, womit der von Christoph Carl von Reitzenstein erworbene Besitz wieder in einer Hand vereinigt war. 1709 starb Joseph Friedrich Heusinger von Waldeck. Das Rittergut Culmitz samt dem Vorwerk Döbrastöcken übernahmen seine vier Söhne Johann Christoph, Johann Friedrich, Heinrich und Joseph Günther Heusinger von Waldeck als Erbengemeinschaft.

Mord und Totschlag im 18. Jahrhundert

Johann Friedrich Heusinger von Waldeck, 1677 in Wunsiedel geboren, besuchte zunächst das Hofer Gymnasium und studierte an 1697 an der Universität Jena. Seine berufliche Karriere startete er als „hochgräflich leiningischer Rat und Hofmeister“. 1711 wurde er als Hofmeister der Brüder Carl Maximilian und Christian Carl von Giech in Thurnau angestellt und begleitete die beiden jungen Grafen beim Studium und ihrer Kavalierstour. Dabei erwarb er sich das Vertrauen seiner Zöglinge, so dass er schließlich nach dem Regierungsantritt des Grafen Carl Maximilian von Giech gewissermaßen dessen Regierungschef wurde. Was ihn dazu bewog, sich im Alter von 62 Jahren eine Ehefrau zu suchen, ist ebenso unbekannt, wie die Umstände bei welchen er sie kennenlernte. Die Thurnauer Traumatrikel nennt allerdings den 6. August 1739 als den Tag, an dem er sich mit Maximiliana Dorothea von Micrander verheiratete. Wenn auch dem Eintrag dort nichts weiter über ihre Abstammung zu entnehmen ist, so wird sie doch eine Tochter des preußischen Generalmajors Georg Adolph Freiherr von Micrander gewesen sein. Das diese Ehe eine glückliche war, ist jedoch zu bezweifeln, denn sie währte nur zwei Jahre lang. Am Morgen des 14. Septembers 1741 erschoss Johann Friedrich erst seine noch schlafende Ehefrau und dann sich selbst.
Joseph Günter und Heinrich Heusinger von Waldeck wohnten in Hof und starben kinderlos. Der letztere hatte mit seinem Erbanteil am Rittergut Culmitz das Waldeckische Stipendium für das Hofer Gymnasium gestiftet. Fortgesetzt wurde die Familie von Johann Christoph Heusinger von Waldeck, der in Culmitz wohnte und dort 1741 starb.
Dessen älterer Sohn Joseph Carl kam bald in solche Schulden, dass er aus der Heimat fliehen und „lange Zeit ausser Landes herum vagiren“ musste. Derweilen kümmerte sich sein jüngerer Bruder Johann Christoph Friedrich ein wenig zu intensiv um seine verlassene Schwägerin, bis er schließlich wegen inzestuösem Ehebruch und versuchtem Totschlag angeklagt und zu Festungsarrest verurteilt wurde. Nach dessen Verbüßung wurde er des Landes verwiesen, worauf sich seine Spur verliert.
Joseph Carl fand schließlich eine Anstellung als sachsen-meiningischer Forstmeister zu Ludwigsburg. Dabei handelt es sich wahrscheinlich um das Schloss Ludwigsburg im thüringischen Rudolstadt. Verstorben ist er jedoch 1746 in München, wo er sich ein Jahr lang in Prozeßangelegenheiten aufgehalten hatte. So gelangten Culmitz und Döbrastöcken an dessen Söhne Carl Christoph, Franz Carl Maximilian Heinrich und Friedrich Johann Philipp Christian Heusinger von Waldeck.

Soldatenkarrieren in feindlichen Lagern

Der jüngste der drei Brüder Friedrich Johann Philipp Christian starb im Alter von 20 Jahren an einer in der zweiten Schlacht des Siebenjährigen Krieges am 6. Mai 1757 bei Prag empfangenen Verwundung als Feldwebel im kaiserlichen Infanterie-Regiment von Felix. Carl Christoph diente zum Todeszeitpunkt seines Vaters als königlich-preußischer Leutnant im Regiment des Prinzen Moritz von Anhalt-Dessau. Später wohnte er in Küps, wo er 1763 starb.
Der mittlere Bruder Franz Carl Maximilian Heinrich war in die kurbayerische Armee eingetreten und brachte es dort bis zum Oberstleutnant im Hegnenbergischen Infanterieregiment. Gegen Ende des Jahres 1773 wurde er in München von einem nach der Bluttat geflohenen Bedienten mit zwei Hieben mit einem Feldbeil erschlagen. Der eine Hieb hatte den Kopf, der andere das Genick Heusingers getroffen. Bald darauf wurde der sechzehnjährige Sohn des Ermordeten, Carl Friedrich Heusinger von Waldeck, der damals bereits als Fähnrich im Hegnenbergischen Infanterieregiment diente, verhaftet. Man beschuldigte ihn, der Anstifter zu dieser Bluttat gewesen zu sein. Da sich diese Anschuldigung jedoch schon bald als haltlos erwies, wurde er wieder freigelassen.
Der junge Carl Friedrich war nun der letzte Sproß der in Culmitz und Döbrastöcken begüterten Familie Heusinger von Waldeck. Er hatte genug von der absolutistischen Herrschaft des späten 18. Jahrhunderts und ging nach Frankreich, um sich dort der Revolutionsarmee anzuschließen. Er focht an der Seite Napoleons und brachte es in dessen Grande Armee bis zum Oberst. Die von seinem Vater ererbten Güter Culmitz und Döbrastöcken wurden wegen seiner Abwesenheit und der darauf haftenden Schuldenlast der staatlichen Zwangsverwaltung unterworfen. In einem Bericht der Regierung des Obermainkreises an das königlich-bayerische Ministeral-Departement für auswärtige Angelegenheiten in München vom 3. November 1815 heißt es dazu: „Dieses Lehengut war seit dem Jahr 1780 wegen der vielen Schulden des Vasallen und wegen seiner langen Abwesenheit, indem dessen Aufenthalt lange Zeit gar nicht auszumitteln gewesen, unter gerichtliche Sequestration genommen und das Sequestrationsamt war das vorige Justizamt und jetzige Landgericht Naila. Nach der im Jahr 1807 erfolgten Zurückkunft des Vasallen aus Frankreich und den Niederlanden hat sich derselbe hier aufgehalten und von einer kargen Competenz von kaum 100 fl. rh. kümmerlich leben müssen, welche die vormalige Regierung zu Bayreuth so gering, allen Vorstellungen des Vasallen ohngeachtet, gerichtlich bestimmt hat.“

Die Zerschlagung des Vorwerks Döbrastöcken

Carl Friedrich Heusinger von Waldeck starb 1814. Das erledigte Lehen wurde vom Bayerischen Staat eingezogen. In der Folge wurde das Rittergut Culmitz mit dem Vorwerk Döbrastöcken zerschlagen. 1815 wurde der Erlös der Zerschlagung des Rittergutes durch die Regierung des Obermainkreises in Bayreuth folgendermaßen berechnet:
„Da sein langem kein Castrum mehr vorhanden und nur ein bloßes baufälliges Oeconomie-Gebäude auf dem Vorwerk Döbrastöcken da ist, so bestehen die verkäuflichen Objecte dieses kleinen Ritterguthes, bei welchen sich durchaus kein Allodial-Objekt befindet, in
22 Tagw. Feld
18 Tagw. Wiesen
2 Tagw. Huth
13 1/4 Tagw. Oedschaft
40 Tagw. Waldung
1 Teich und
1 Fischwasser
welche der Veräußerung nach allerhöchster Bestimmung dürften ausgesetzt werden, und da sie nach dem Anschlag einen Werth von 5194 fl. 45 Xr. haben, so können davon die Concurs-Schulden mit 4156 fl. 30 Xr. abgetragen und noch ein baarer Überschuß von 1038 fl. 15 Xr. für das kgl. Aaerar erzielt werden.“
Wie aus einer im Archiv des Heimatmuseums in Naila aufbewahrten Urkunde vom 21. Oktober 1824 hervorgeht, hatte der Steuervorgeher Johann Georg Schmidt das baufällige Wirtschaftsgebäude des Vorwerks Döbrastöcken nebst einer Reihe von Grundstücken bei einem vom königlichen Rentamt Lichtenberg am 10. November 1817 anberaumten Versteigerungstermin als Meistbietender für 987 rheinische Gulden erworben. Aus diesen durch Schmidt getätigten Erwerbungen wurde das „Güthlein Haus-Nro. 1“ in Döbrastöcken formiert. Dieses in der Waldeinsamkeit nordwestlich von Döbra gelegene Haus mag als letztes Zeugnis der nicht gerade vom Glück verfolgten Familie Heusinger von Waldeck gelten.

Harald Stark

Literatur und Quellen:

Georg Wolfgang Augustin Fikenscher: Gelehrtes Fürstenthum Baireuth, 10. Band, Nürnberg 1804, S. 38-48
J. G. A. Hübsch: Geschichte der Stadt und des Bezirks Naila, Helmbrechts 1863, S. 37-42
Friedrich Wilhelm Anton Layritz: Ausführliche Geschichte der öffentlichen und Privatstipendien für Baireutische Landeskinder, 2. Band, Hof 1804, S. 185-187
Paul Daniel Longolius: Sichere Nachrichten von Brandenburg-Culmbach, Dritter Theil, Hof 1754, S. 177-227 (Culmitz)
Paul Daniel Longolius: Sichere Nachrichten von Brandenburg-Culmbach, Vierter Theil, Hof 1755, S. 212-229 (Döbrastocken)
Johann Jacob Spieß: Der brandenburgischen historischen Münzbelustigungen 37. Woche, Montags den 10. Sept. 1770 (Schaumünze auf Georg Adolph Freiherrn von Micrander)

Staatsarchiv Bamberg:

A 240, R 995: CARTE SPECIAL VON DEM VOGTEY AMBT NAYLA UND DER GERICHTE BERNSTEIN und Schwartzenbach am Wald (wohl Johann Georg Dülp) um 1720.
Markgraftum Brandenburg-Bayreuth, Geheime Landesregierung Nr. 4851: Acta des Churfürstl. Bayerischen Cämmerers und Obrist-Lieutenant Franz Carl Heinrich Ernst von Waldeck zu München, ohnlängst durch Meuchelmord erfolgtes Ableben und die intuitu dessen von dem hiesig Hochfürstl. Hauß zu Mannlehen getragene Ritterguth Culmitz und Döbrastöcken getroffene provisorische Verfügungen, dann der beeden Schwestern des Defuncti Sophia Charlotta von Heppe und Christiana von Strobel formierte Praetentiones an gedachten ihres Bruders Vermögens-Nachlaß und besessene Rittermannlehenbaren Güther betr. 1774
G 65, A 7464: Gattenmord und Selbstmord des früheren giechischen Rats und Hofmeisters Johann Friedrich von Waldeck, 1741-1743
G 65, A 8737: Diarium des Grafen Carl Maximilian von Giech, 1741-1743, Eintrag zum 14.9.1741.
G 65, A 9641: Acta betreffend Erziehung und Unterricht der beiden jungen Grafen Carl Maximilian und Christian Carl, Brüder, Grafen von Giech zu Buchau, Thurnau pp. die Bestellung eines Hofmeisters für dieselben in der Person des Joh. Friedrich von Waldeck, ihre Reisen, 1705-1713
K 201a, Nr. 863: Acta des kgl. General-Kommissariats des Mainkreises, die Rittermannlehenbaren Güther Culmitz und Döbrastöcken, besonders deren Heimfall betr. 1812-1817

Archiv des Heimatmuseum Naila:

Urkunde vom 21. Okt. 1824, das Haus Nr. 1 in Döbrastöcken betreffend.
Gemeinde-Buch für Culmitz, kgl. Bezirksamt Naila, angelegt i. J. 1874 von Lehrer und Gemeindeschreiber J. A. Kolb (maschinenschriftliche Abschrift).

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Veröffentlicht in:
FRANKENWALD – Kultur, Natur, Wandern
Das Heimatmagazin des Frankenwaldvereins e. V.
4/2018
Seiten 12 - 14