Verschwundenes Kulmbach: Ein Handwerkerhaus in der Buchbindergasse

Kulmbach ist ein schmuckes Städtchen. Die Gassen der Altstadt haben ihr besonderes Flair, das den Fassaden der zahlreichen historischen Gebäude entströmt. In der Oberen Stadt und am Marktplatz beherrschen behäbige Bürgerhäuser das Bild, während sich in der Langgasse gründerzeitliche Geschäftshäuser mit den ab und zu mit Fachwerk gestalteten Giebeln kleinerer Handwerkerhäuser abwechseln. Obwohl auch einige Bausünden den Gesamteindruck stören, bietet sich dem Betrachter ein abwechslungsreiches, aber durchaus harmonisches Ganzes. Erst auf den zweiten Blick bemerkt man, dass sich hinter den historischen Gesichtern vieler Wohngebäude in der Kulmbacher Innenstadt durchaus moderne Baukörper befinden. Im Sandsteinsockel unter dem schmucken Fachwerkgiebel der ehemaligen Metzgerei Weiß in der Langgasse (Langgasse 17) erinnert eine Inschrift: „Nach Zerstörung der Stadt 1553 wieder erbaut um 1557 – erneuert 1953 von Hans Weiß“. Wenige Schritte weiter entdeckt man am durchaus barock erscheinenden Giebel des Wohn- und Geschäftshauses Langgasse 21 die Worte: „ZERSTÖRT 26.NOV.1553 – WIEDER AUFGEBAUT 1560 – ABBRUCH U. NEUBAU 1981 V. DR. WALTER G. HERTEL“. Und auch hinter dem Fachwerkgiebel des Anwesens Langgasse 31 verbirgt sich ein modernes Wohngebäude. Die Hausinschrift verrät: „Zerstört 1553 – Wiedererrichtet 1560 – Abbruch u. Neubau 1978 Th. u. E. Flanderka“. Sicherlich ließe sich diese Aufzählung noch weiter fortsetzen, doch sind moderne Um- und Neubauten in der Langgasse allein an den genannten Häusern durch Inschriften belegt.

Kulmbach, Langgasse 17
Kulmbach, Langgasse 21
Kulmbach, Langgasse 31

 

Kulmbach, Marktplatz 7

Abbruch im Oktober 2014

Nicht weit von der Langgasse entfernt, in der Buchbindergasse, ist vis á vis von der Hofeinfahrt der Metzgerei Lauterbach eine neue Baulücke entstanden, die bald wieder von einem Wohn- und Geschäftshaus mit historisierender Giebelfassade gefüllt sein wird. Die Bayerische Rundschau veröffentlichte in ihrer Ausgabe vom 30. Oktober 2014 den vom Architekten Helmut Zink gestalteten Fassadenentwurf, der sich sehr gut in das gegenwärtige Bild der Buchbindergasse einfügen wird. Dennoch wird es nicht uninteressant sein, einen kurzen Blick auf die Geschichte dieses Hauses – es ist das Anwesen Buchbindergasse 6 – zu werfen, die in dem erwähnten Zeitungsbericht über den Abbruch des Hauses von Stephan Tiroch nach Richard Lenkers Häuserbuch bereits kurz skizziert wurde. Demnach wurde das Gebäude 1531 erstmals urkundlich erwähnt und gehörte damals einem Jörg Absenger. Nach seiner Zerstörung am Konraditag 1553 sei das Gebäude spätestens 1608 vom Hans Köplein wieder errichtet worden.
Ein Blick in die Kulmbacher Chronik zeigt allerdings, dass am 24. April 1624 im nordwestlich des Marktplatzes gelegenen Stadtquartier 27 Wohngebäude durch eine Brandkatastrophe vernichtet wurden, die in Folge des Dreißigjährigen Krieges nur zögerlich wieder aufgebaut wurden. Da sich bei der Wiederbesiedlung der Brandstätten scheinbar die Grundflächen der Anwesen veränderten, erweist es sich als sehr schwierig, deren Geschichte über den Zeitpunkt des Brandes hinaus weiter zurück zu verfolgen.

Kulmbach, Buchbindergasse 6
Während des Abbruchs (29.10.14)
Während des Abbruchs (06.01.15)

 

Brandkatastrophe im Jahr 1624

Der Geistliche Rat Johannes Schlund, der durch seine Forschungen zu Anfang des 20. Jahrhunderts den Grund für Richard Lenkers Kulmbacher Häuserbuch legte, identifizierte das Anwesen Buchbindergasse 6 mit der Brandstätte, an deren hinteren Giebelmauer ein von Elisabeth Schwälbin erbautes Gewölbe stand, das dem Inhaber des abgebrannten Hauses gehört hatte. Dieser, Daniel Zetzner, hatte die Brandruine für 60 Gulden an den Kulmbacher Bürger Mathes Hasfürter verkauft, den der regierende Bürgermeister Hans Paris am 18. November 1624 damit belehnte. Zetzner hatte das Haus erst zwei Jahre vorher für 200 Gulden von Hans Reinschmidts Erben erworben. Dieser erscheint im Stadtlehenbuch von 1597 als Besitzer dieses Hauses, das vorher Christof Hubner gehört habe. Im Lehenbuch von 1568 ist schließlich – ohne weiteren Vermerk – Hannß Hubmerin, also die Witwe von Hans Hubmer, als Inhaberin des Anwesens eingetragen. Soweit die Interpretation Schlunds.
Sicheren Boden betritt man bei der Geschichte des jüngst abgebrochenen Hauses Buchbindergasse 6 jedoch erst 1747, als am 2. März Peter Reymund Polland das „Haus im Gäßlein am Markt“ von Simon Weiß kaufte. Noch im selben Jahr wechselt das Haus ein weiteres Mal den Besitzer: Am 4. September 1747 kommt es in die Hände des Seilermeisters Johann Abraham Schmidt. Nach dessen Tod erbt dessen Sohn, der Siebmacher Johann Matthäus Schmidt das Anwesen, der am 6. Dezember 1762 von Bürgermeister und Rat damit belehnt wird. Fünf Jahre später wechselt es erneut den Herrn: Der Goldschmied Johann Gottlob Gottfried kauft es am 2. April 1767 um 525 Gulden. Am 23. August 1773 erhält dann der Glasermeister Johann Georg Bauer das Wohnhaus im Buchbindergäßlein zu Lehen; er hatte es um 740 Gulden vom Vorbesitzer erworben. Der neue Besitzer stammte aus Volkmannsgrün bei Schauenstein, wo sein Vater Johann Lorenz Bauer, als Müllermeister tätig war.

Vorfahren des U-Boot-Erfinders Bauer bewohnen das Haus

Mit diesem Besitzwechsel wird unser Haus in der Kulmbacher Buchbindergasse von einem Lichtstreif der großen Geschichte berührt, denn Johann Georg Bauer ist der Großvater von Wilhelm Bauer, der um 1850 mit dem „Brandtaucher“ das erste selbstständig agierende Unterseeboot erfunden hat. Während aber Wilhelms Vater Johann Wilhelm Bauer in das bayerische Militär eintrat und als Chevauleger-Wachtmeister in Dillingen, später sogar bei der königlichen Leibgarde der Hartschiere in München diente, fiel das Haus in der Kulmbacher Buchbindergasse 1811 an dessen Bruder, den Bürger und Glasermeister Johann Heinrich Bauer.
1787 gehörten zum Besitz des Glasermeisters Johann Georg Bauer zwei Wohnhäuser und 1 Scheune. Seine Familie bestand aus 2 erwachsenen Männern, einem Sohn über 9 Jahren, 3 erwachsenen Frauen und zwei Kindern unter 9 Jahren. Außerdem beschäftigte er noch 1 Knecht und einen Glasergesellen. Er besaß ¼ Tagwerk Wiesen und 2 Tagwerk Feld; in seinem Stall standen 2 Ochsen, 1 Stier, 2 Kühe, 1 Kalb und 3 Schweine. Aus dem Jahr 1797 erfahren wir, daß sein Wohnhaus in der Buchbindergasse halb massiv gebaut und mit Dachziegeln gedeckt war. Auch wenn die zur Buchbindergasse gerichtete Fassade des Hauses verputzt gewesen ist, so bestand der Giebel desselben über dem gemauerten Erdgeschoss bis zum Abbruch wahrscheinlich aus Fachwerk.
Ob Wilhelm Bauer, der am 23. Dezember 1822 in Dillingen geboren worden war, jemals seinen Großvater Johann Georg oder seinen Onkel Johann Heinrich Bauer in Kulmbach besuchte, ist mir nicht bekannt. Jedenfalls befand sich das Wohnhaus Nr. 397 in der Buchbindergasse noch 1853 im Besitz der Glaserwitwe Maria Bauer, die es nach dem Tod ihres Mannes 1848 geerbt hatte. Erst 1882 erscheint in Richard Lenkers Häuserbuch mit dem Bäckermeister Johann Friedrich Ströber ein neuer Eigentümer des Hauses. Das Anwesen verfügte damals noch über ein langgestrecktes Rückgebäude und einen schmalen Hinterhof. In diesem Rückgebäude befanden sich im Erdgeschoss ein Keller und ein Stall, darüber Wohnräume. Ein Stück dieses Stalles ließ Bäckermeister Ströber schon 1875 durch den Maurermeister Heinrich Arnet abtrennen und als Waschküche einrichten. Im Erdgeschoss des Wohnhauses befanden sich wohl schon immer die Arbeitsräume der Handwerker, die in diesem Anwesen lebten. Gleich nach dem Betreten des Hausflures durch die Haustür, führte links eine Tür in den Laden des Bäckermeisters. Dahinter folgte eine gewölbte Küche, in die Ströber 1886 zwei moderne Kamine einbauen ließ, und dann die Backstube. Der 1886 dort stehende Backofen hatte seinen Rauchabzug vor dem Einbau der beiden Schornsteine in den offenen deutschen Kamin über der Küche. Vom Hausplatz aus führte eine zweischenkelige Holztreppe hinauf in das obere Stockwerk, wo sich die Wohnräume befanden.

Situationsplan 1896
Schaufenstereinbau 1896
Luftschutzkellerbau 1940

 

Vom Ledergeschäft zum Friseursalon

1896 hatte das Haus mit dem Lederhändler Wilhelm Müller einen neuen Eigentümer erhalten. Er teilte im genannten Jahr den großen Ladenraum im südwestlichen Teil des Erdgeschosses in einen kleineren und einen größeren Ladenraum, die beide vom Hausplatz aus zugänglich waren. Das mittlere der drei zur Straße gerichteten Fenster ließ er zu einer Tür vergrößern, so dass der größere der beiden Läden auch direkt von der Straße aus betreten werden konnte. Die beiden übrigen Fenster wurden zu Schaufenstern vergrößert. 1899 war das einstige Küchengewölbe im Erdgeschoss bereits herausgerissen und der größere der beiden Ladenräume um den Raum der ehemaligen Küche vergrößert worden. Auch der Backofen war entfernt und die ehemalige Backstube in eine Kammer, die dem Lederhändler wohl als Lagerraum diente, umgewandelt worden. Da man in den Wohnräumen des 1. Obergeschosses damals ein eigenes Badezimmer einrichtete, musste ein neuer Kamin eingebaut werden.
Von Wilhelm Müllers Erben kam das Anwesen 1935 in die Hände des Friseurs Georg Günther, der dort im genannten Jahr einen Damen-Frisier-Salon und ein Parfümeriegeschäft einrichten ließ. Die beiden Läden im vorderen Teil des Erdgeschosses wurden zu einem großen Parfümerieladen mit 31 Quadratmetern Grundfläche vereinigt. Im hinteren Teil des Hauses wurde der Friseursalon mit 4 getrennten Kabinen eingerichtet. Um in den Räumen dieses Friseursalons Tageslicht zu erhalten, musste der neue Eigentümer des Anwesens einen Teil des Rückgebäudes abbrechen und nach Nordosten zwei große Fenster in das Wohnhaus einbauen lassen. Die letzte in den Unterlagen des Stadtarchivs Kulmbach fassbare Baumaßnahme war der Einbau eines Luftschutzkellers im Bereich des Hinterhauses 1940.

Harald Stark