Haben Sie es schon bemerkt? Der
Kulmbacher Altstadt hat man einen Zacken aus der Krone gebrochen.
Im Juni dieses Jahres wurde in der Wegespitze zwischen Röthleinsberg
und Festungsberg ein Fachwerkhaus abgebrochen. Das Gebäude
stand zwar nicht explizit unter Denkmalschutz, doch gehörte
es zum Altstadtensemble und kann aufgrund seiner Lage durchaus
als Stadtbild prägend angesehen werden. Mir wird dieses Haus
mit der Adresse Festungsberg 9 besonders deshalb in Erinnerung
bleiben, weil hier einer meiner Amtsvorgänger, Kastellan
Werner Pavian, wohnte. Er - Jahrgang 1916 - war ein gebürtiger
Berliner und kam nach der Entlassung aus der amerikanischen Kriegsgefangenschaft
als Werkzeugdreher nach Kulmbach. Hier heiratete er durch seine
Verehelichung mit Erna Schneider-Scheumann gewissermaßen
in das Anwesen Festungsberg 9 ein. Von 1968 bis 1979 bekleidete
er dann das Amt des Kastellans der Plassenburg, blieb aber auch
während seiner Dienstzeit im Haus seiner Frau am Festungsberg
wohnen. Ich kam zwar erst 1989 nach Kulmbach, lernte Herrn Pavian
aber noch als Gästeführer im Dienste der Stadt Kulmbach
kennen, der oft mit Reisegruppen auf die Plassenburg kam. Etwas
kurios war, dass er jedes Jahr im Herbst den Metallgitterzaun
vor seinem Haus gestrichen hat: DieUmfassung grün, die Felder
gelb!
Recherchen im Stadtarchiv Kulmbach und im Staatsarchiv Bamberg
Nun, da ich den Untergang des Pavian'schen Anwesens miterleben
musste, interessierte es mich natürlich, wann dieses Haus
überhaupt gebaut worden ist. Deshalb führte mich mein
Weg ins Kulmbacher Stadtarchiv. Ein Blick in das "Verzeichnis
der neuen Hausnummern der Stadt Kulmbach" aus dem Jahr 1901
belehrte mich, dass das Anwesen Festungsberg 9 - es gehörte
damals übrigens dem Tuchmacher Heinrich Schneider-Scheumann
- bis dahin die Hausnummer 210 ½ getragen hatte und auf
dem Grundstück Plan-Nr. 428 ½ stand. Der Zusatz "½"
hinter der Plannummer verriet mir zusätzlich, dass die fragliche
Besitzparzelle irgendwann nach 1855 vom Grundstück mit der
Plan-Nr. 428 abgeteilt worden ist. In dem von Stadtarchivar Richard
Lenker erstellten Kulmbacher Häuserbuch steht zwar, dass
das Anwesen 1880 dem Zimmergesellen Peter Popp gehörte, der
dazu zitierte Beschrieb ist seltsamerweise jedoch nicht der eines
Wohnhauses, sondern der einer Scheune.
Weil die erste Recherche im Gedächtnis der Stadt Kulmbach
zu keinem rechten Ergebnis geführt hatte, bestellte ich mir
bei meinem nächsten Besuch im Bamberger Staatsarchiv die
Umschreibhefte zum Kulmbacher Urkataster, die bei Forschungen
zu Häusergeschichten stets gute Quellen abgeben. Aus dem
Umschreibheft ab 1880 konnten folgende Hauseigentümer ermittelt
werden: Am 7. Mai 1880 erwarb der Viehändler Johann Türk
das Anwesen. Diesem folgte laut Kaufvertrag vom 8. Mai 1886 der
Tuchmacher Robert Bernhard Klug. Dieser verkaufte es am 9. Oktober
1890 an den schon bekannten Heinrich Schneider-Scheumann. Leider
konnte kein älteres Umschreibheft zur Hausnummer 210 ½
aufgefunden werden. Nun war guter Rat teuer.
Der Kulmbacher Stadtarchivar Reiner Hofmann empfahl mir einen
Blick in das um 1880 erstellte Sal- und Lagerbuch der Stadt. In
diesen Bänden sind alle Anwesen und Besitzeinheiten innerhalb
der Stadtmarkung detailliert beschrieben. Danach hatte der Tuchmacher
Robert Bernhard Klug als Besitznachfolger des Zimmermanns Peter
Popp folgenden Grundbesitz:
Pl.-Nr. 428 ½ Wohnhaus (Haus-Nr. 210 ½) mit Stall,
Stadel und Hofraum
429 ? Gemüsegarten mit Keller vor dem Haus
429 ½ Gemüsgarten
1083 Reuth am Buch obern weißen Main (Acker), Reuthhäuslein,
Grasrain und Obstbäumen
1099 Schrötlein ober der Reuth (Waldung)
1100 Buchreuth mit Grasrain und Obstbäumen (Acker)
1100 ½ Stadel in der Buchreuth, ½ Antheil mit
Haus Nr. 65 der hintere Barnet mit oberem Balken bis zum Dachgiebel.
Der Tennen ist gemeinschaftlich mit Haus- Nr. 65 (Oberhacken
28).
Das Haus wurde 1866 gebaut!
Damit erbrachte das Sal- und Lagerbuch zwar einen interessanten
Einblick auf den Besitzumfang des Anwesens im letzten Drittel
des 19. Jahrhunderts, jedoch keinen Hinweis auf die Erbauung des
Hauses. Erst ein Verzeichnis der Neubauten und Bauveränderungen
in den Jahren 1839 bis 1873, das sich ebenfalls im Kulmbacher
Stadtarchiv befindet, brachte schließlich Licht in die Angelegenheit.
Demnach war es der Zimmergeselle Peter Popp, der am 19. Juni 1866
beim Kulmbacher Magistrat eine Konzession zum Bau des neuen Wohnhauses
erwirken und am 29. August desselben Jahres Richtfest feiern konnte.
Peter Popp war vorher der Besitzer des benachbarten Hauses Festungsberg
11 (alte Hausnummer 210a) gewesen. In einer um 1855 aufgezeichneten
Besitzliste der Steuergemeinde Kulmbach heißt es: Peter
Popp, Zimmergeselle, besitzt Pl.-Nr. 428: Wohnhaus untern Festungsberg
im II. Viertel obern rothen Thurm mit gemeinschaftlichem Eingang
(mit Haus-Nr. 210 b), angebauter Bodenkammer, Schupfe mit Stallung,
Hofraum und Plätzlein vorm Haus, durch Ehelichung der Witwe
Elisabetha Gack erhalten, welche das Anwesen laut Lehenschein
vom 12. September 1848 nach Ableben des Johann Martin Gack erhalten
hat. Anstelle der genannten Schupfe mit Stallung hatte Peter Popp
das neue Haus errichtet, denn im bereits zitierten Sal- und Lagerbuch
wird diese Schupfe nicht mehr unter den Zugehörungen von
Haus Nr. 210a erwähnt. Bald darauf mag Popp seine alte Wohnung
verkauft haben, denn bis 1880 war sie Eigentum des Zimmergesellen
Friedrich Schmidt, der sie am 6. April des genannten Jahres an
den Schreiner Andreas Kalb verkaufte.
Nun ist dieses 145 Jahre alte Wohnhaus aus dem Stadtbild verschwunden.
Beim Abbruch kamen die Überreste der alten Schupfe mit Stallung
wieder zum Vorschein, deren Erdgeschoßräume teilweise
in den gewachsenen Sandstein geschlagen waren. Am 21. September
hat das Kulmbacher Bauamt die Genehmigung zum Bau eines neuen
Einfamilienwohnhauses auf Flur-Nr. 428/2 erteilt. Bleibt zu hoffen,
dass sich dieses neue Gebäude genau so gut in das historische
Stadtbild der Kulmbacher Altstadt einfügt, wie der alte Fachwerkbau,
der nun Geschichte geworden ist.
Harald Stark
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