Aufgewacht - Die Sammlungen der Grafen Giech aus Schloss Thurnau

- Spätgotische Schnitzfigurengruppe "Marienkrönung" -

Die mit dem Schloss durch eine hölzerne Brücke verbundene Kirche St. Laurentius ist ein in den Jahren 1701 bis 1704 entstandener Neubau. Allein der Turm ist vom Vorgängerbau erhalten geblieben, einem gotischen Kirchlein, das aus einer Kapelle hervorgegangen ist, die von der Familie Förtsch zwischen ihren beiden Thurnauer Burgen, dem „Haus auf dem Stein“ – also der heutigen Kemenate – und dem auf der Höhe des Seidelsberges gelegenen „Haus samt dem Turm“ errichtet worden war. Wie bei katholischen Kirchen üblich, war auch das Thurnauer Gotteshaus mit mehreren Altären ausgestattet. Im 15. Jahrhundert sind hier ein Nikolaus- und ein Marienaltar bezeugt; der Hochaltar mag dem Patron der Kirche, dem Heiligen Laurentius, geweiht gewesen sein. Nach der Annahme der lutherischen Lehre durch die Familie Förtsch – sie erfolgte zwischen 1537 und 1546 – wurden die überflüssigen Altäre aus der Kirche entfernt. Sicherlich wurde auch der Hauptaltar neu gestaltet und die vorreformatorischen Heiligenfiguren, die die Altäre bisher geschmückt hatten, verschwanden in der Versenkung.
Bei der Marienkrönungsgruppe handelt es sich wahrscheinlich auch um die Bekrönung des ehemaligen Marienaltars, von dem weitere Elemente des Altars in den Giechschen Sammlungen vorhanden sind. Bei einem Element sind noch die Rückwand und Teile der Rahmung vorhanden, was die wahrscheinlich ursprüngliche Anordnung der einzelnen Elemente in einem Flügelaltar erahnen lässt. Der Altar dürfte auf die erste Hälfte des 15. Jahrhundert zu datieren sein.
Bei dem hier besprochenen Altarelement fehlt die sich ursprünglich zuoberst zwischen Gottvater und Jesus befindliche Taube, Symbol des Heiligen Geistes. Vater und Sohn sitzen nebeneinander auf einem angedeuteten schmalen Holzbänklein. Beide tragen Insignien mittelalterlicher Herrscherwürde: Sie sind bekrönt und halten einen Globus in ihren Händen. Ihre jeweils freien Hände nehmen gemeinsam die Krönung Mariens vor. Gottvater ist in direkter Vorderansicht souverän, majestätisch, und über die Dinge der Welt erhaben dargestellt. Seinem menschgewordenen Sohn nimmt man hingegen durchaus ab, dass er die Welt durchlitten hat. Sein Blick sucht im Raum halt. Sein Obergewand wird von einer Spange so zusammengehalten wird, dass seine Brust teils freiliegt, was ihn wiederum verletzlich erscheinen lässt.
Maria ist deutlich kleiner als die beiden sie krönenden Figuren. Mit ihrer hohen gewölbten Stirn, ihren mandelförmigen Augen und ihrer lieblichen Erscheinung ist ihre Darstellung vom Stil der so genannten schönen Madonnen beeinflusst.
Die Marienkrönungsgruppe ist gerade auch in ihrem nicht perfekten Zustand informativ. So sind in Bereichen, in denen der Anstrich auf den Figuren abgängig ist, die Spuren der Bearbeitung durch den Bildschnitzer direkt erfahrbar. Dieser holzsichtige Zustand kann auch durchaus für eine Weile der Zustand gewesen sein, in dem sich der Altar der Gemeinde präsentiert hat. Denn Bemalungen wurden oft nicht sofort, sondern erst zeitlich verzögert und dann gemäß der Zunftordnung in der Regel nicht durch den Bildschnitzer selbst, sondern durch einen Maler vorgenommen. Dieser hat zunächst den Malgrund mit geleimter Kreide sorgfältig vorbereitet, der nun in vielen Bereichen freiliegt. Teils hat er – wiederum gut zu sehen - Leinwand als Armierung des Kreidegrunds eingelegt. Eine sorgfältige Untersuchung der Fassungs- bzw. Farbreste ließe eine weitgehende Rekonstruktion der ursprünglichen Farbigkeit zu. An den Gewändern zeigen sich vergoldete, sowie in kräftigem Rot und damals aufgrund der Kostbarkeit der Pigmente teurem Blau gefasste Bereiche, sowie Reste von Ornamentik. Farbig zart angelegt waren hingegen die freiliegenden Körperpartien.
In Vorbereitung der Ausstellung wurde die Figurengruppe lediglich mit einem sehr weichen Fehhaarpinsel von aufliegendem Schmutz gereinigt. Als nächster Schritt wäre es konservatorisch sinnvoll gefährdete Partien der Bemalung wieder anzulegen und damit zu sichern. Eine weitgehende Restaurierung der Figur aber sollte unterbleiben. Der Gewinn an Information über ihr ursprüngliches Aussehen durch Rekonstruktion ihrer Fassung wäre mit derbem Verlust an Authentizität und dem Verlust des Einblicks in ihr kunsttechnologisches Innenleben verbunden. Es lohnt sich bei der Marienkrönungsgruppe, so wie sie ist, genau hinzuschauen.

Karl Hiller von Gaertringen / Harald Stark