Ein Besuch in der ThurnauerLaurentiuskirche

Viele Menschen, die in Oberfranken unterwegs sind, kennen Thurnau vom vorbeifahren. Von Bayreuth aus gelangt man auf der Autobahn A 70 in einer Dreiviertelstunde nach Bamberg. An den beiden Autobahnausfahrten von Thurnau rauscht man schnell vorbei. Wer doch von den Touristischen Hinweistafeln, die am Fahrbahnrand der Autobahn auf das Schloss Thurnau aufmerksam machen, seine Neugier wecken lässt, findet sich schon bald in einer idyllischen Kleinstadt mit einigen Sehenswürdigkeiten wieder. Schon der schluchtartige Obere Markt, mit seinen in zwei unterschiedlichen Höhen verlaufenden Fahrbahnen und den aus hellem Sandstein errichteten behäbigen Bürgerhäusern zu beiden Seiten, kommt dem mußevollen Betrachter sehr malerisch vor. Der normale Autofahrer allerdings flucht hier ob den beengten Verkehrsverhältnissen, besonders wenn ihm ein Lieferwagen entgegen kommt.
Der nächste Aha-Effekt folgt dort, wo sich die ziemlich steil abwärts führende Straßenschlucht zum Marktplatz weitet. Eine überdachte Holzbrücke auf hohen Pfeilern verbindet das imposante Schloss mit der auf einem Hügel über der Straße liegenden Kirche. Spätestens hier ist der interessierte Besucher bestrebt einen Parkplatz zu finden, um den malerischen Ortskern per pedes zu erkunden. Heute soll allerdings nicht das Schloss das Ziel unseres Spaziergangs werden, sondern die dem Heiligen Laurentius geweihte Evangelische Pfarrkirche des Marktes Thurnau.
Bei den Gewölben, in denen sich heute das Kriegerdenkmal für die Gefallenen und Vermissten der beiden Weltkriege befindet, handelt es sich um zwei der ehemals fünf Fleischbänke, in denen einst die Thurnauer Metzger ihre Waren feilbieten durften. Gestaltet wurde das Kriegerehrenmal vom Töpfermeister Günter Stüdemann im Jahr 1959. Die Namen der Kriegsopfer sind – entsprechend der Jahrhunderte alten Thurnauer Töpfertradition – auf Tontafeln festgehalten. Von hier sind es nur wenige Schritte bis zu der Treppe, die hinauf zum Kirchenportal führt, das tagsüber in der Regel für Besucher geöffnet ist. Nach dem Eintreten ist man umfangen von einem festlichen, in hellen Farben gehaltenen und lichtdurchstrahlten Gotteshaus.
Eigenartig mag manchem die Aufstellung der Orgel über dem Altar im nach oben erweiterten Turmchor erscheinen. Dies ist jedoch beim evangelischen Kirchenbau nichts seltenes, denn die liturgischen Handlungen an Altar, Kanzel und Taufstein sollten für alle Besucher des Gottesdienstes gut sichtbar und hörbar sein. Auch Musik und Gesang sind wichtige Bestandteile des evangelischen Gottesdienstes. So ist der Chor der Ort des Gebets, des Segens und besonders des Abendmahls, aber auch der Taufe, der Beichte, des Chorgesangs und des Orgelspiels. Anders als bei den sogenannten Markgrafenkirchen, die sich bevorzugt im benachbarten Bayreuthischen finden lassen, ist die Thurnauer Kirche jedoch nicht mit einem Kanzelaltar ausgestattet. Der kulissenartige Altaraufbau stammt wohl vom von Bayreuther Hofbildhauer Elias Räntz. Das Altarblatt zeigt den lehrenden Christus, darüber steht das Bibelwort „Joh. 6, v. 51 Ich bin das lebendige Brod, vom Him[m]el kom[m]en, wer von diesem Brod eßen wird, der wird leben in Ewigkeit“ in goldenen Lettern. Zwei auf dem Gebälk des Altares stehende weibliche Genien weisen auf das an der Brüstung der Orgelempore angebrachte Wappen der Freiherrn von Künsberg-Thurnau hin, die sich bis 1731 das Patronat über die Kirche mit den Grafen von Giech teilten.
Etwas besonderes ist auch die an der nördlichen Laibung des Chorbogens angebrachte Kanzel. Nicht nur, dass sie nicht – wie in vielen Kirchen der näheren und weiteren Umgebung – aus Holz geschnitzt, sondern vom italienischen Stuckateur Bernardo Quadri aus Stuck geformt wurde. Sie zeigt auch nicht die sonst üblichen Evangelistendarstellungen, sondern überrascht mit den Relieffiguren der alttestamentarischen Könige David und Salomo und der Propheten Elias, Jeremias, Daniel und Ezechiel. Der in der Mittelachse des Kirchenraumes vor dem Altar zwischen den vorderen Bankreihen des Gestühls aufgestellte und aus hellem Sandstein gearbeitete schlichte, kelchförmige Taufstein ist wohl hundert Jahre jünger, als die übrigen Prinzipalstücke des Thurnauer Gotteshauses, denn auch hier war bis um 1800 ein vom Erlanger Bildhauer Johann Philipp Göbel aus Holz geschnitzer Taufengel im Einsatz, bis er durch die aufklärerischen Tendenzen der Revolutionszeit aus der Kirche verdrängt wurde.
Ein besonders eindrucksvolles Bild eröffnet sich dem Besucher der Thurnauer Kirche, wenn er durch den westlichen Haupteingang durch die Bankreihen des Gestühls bis zum Taufstein schreitet und sich dann in die entgegengesetzte Richtung umwendet. Dann hat er den prächtigen, zweigeschossigen Herrschaftsstand mit seinem reich geschnitzten Dekor aus Akanthusranken, Festons, Voluten, Engeln und Engelköpfen vor sich, in dem einst oben die Grafen von Giech und darunter die Freiherrn von Künsberg dem gottesdienstlichen Geschehen folgen konnten. Über den überdachten Holzsteg konnten die Thurnauer Schlossherren früher von ihren Wohnstuben im Schloss aus direkt über die Straße in ihre Privatloge in der Kirche gelangen, ohne sich in die Niederungen des gemeinen Volkes begeben zu müssen. Das Ehewappen Giech-Khevenhüller an der gräflichen Herrschaftsempore verweist auf Graf Carl Gottfried II. von Giech (1670-1729) und dessen Gemahlin Eva Susanna, geborene Gräfin Khevenhüller (1674-1714). Die Wappen am künsbergischen Herrenstand erinnern an Baron Eucharius Ferdinand Carl von Künsberg (1693-1776) und dessen Ehefrau Albertine Dorothea Louise, geb. Freiin von Bothmer (1693-1776). Ebenso wie der Altar ist auch der prachtvolle Herrenstand der Thurnauer Kirche ein Werk des Bayreuther Bildhauers Elias Räntz.
Schließlich wäre auch das Bildprogramm der Kirchendecke, zu dem der Stuckateur Bernardo Quadri die plastische Umrahmung schuf, noch einer eingehenden Betrachtung wert, die jedoch den Rahmen unseres heutigen Besuchs im Thurnauer Gotteshaus sprengen würde. Die Deckenfresken stammen vom Bayreuther Maler Gabriel Schreyer und dem sonst als Notar in Erlangen und als Sekretär der Freiherrn von Künsberg tätigen Johann Adam Raab. Wer mehr über die Motive der Deckengemälde und die Hintergründe des gesamten Bildprogrammes erfahren möchte, dem sei das Heft „Thurnau – Ein kleiner Führer durch seine Geschichte“ von Uta von Pezold ans Herz gelegt, in dem sich die Autorin eingehend mit diesen Fragen beschäftigt. Ich will an dieser Stelle nur darauf hinweisen, dass sich in Thurnau die seltene Darstellung eines von unseren katholischen Glaubensbrüdern verehrten Heiligen in einem sonst vom protestantischen Pietismus geprägten Kirchenraum findet: Direkt über der Öffnung zum Chor ist in einem Medaillon der Langhausdecke der auf dem Rost bratende Heilige Laurentius dargestellt. Er war schon in vorreformatorischer Zeit der Patron der Thurnauer Kirche.
Interessant wäre es sicher auch noch, einen Blick auf die an den Innenwänden der Kirche angebrachten Grabsteine zu werfen, die darauf hinweisen, dass das Gotteshaus einst auch der Begräbnisort für die am Ort ansässigen Adeligen gewesen ist. Beim Verlassen der Kirche kommt man auf der Treppe an einer in das Untergeschoss des Gebäudes führenden Tür vorbei. Sie vermittelt den Zugang zu denen ehemaligen Gruftgewölben. Diese sind heute leer; die einst hier Bestatteten wurden im 19. Jahrhundert auf den damals vom Thurnauer Gottesacker abgeteilten sogenannten Grafenfriedhof umgebettet.

Harald Stark

Der Obere Markt in Thurnau ist ein besonders malerischer Winkel (Foto: Harald Stark 2014)

Die Laurentiuskirche in Thurnau. In den begrünten Bögen am linken Bildrand befindet sich das Kriegerehrenmal. (Foto: Harald Stark, 2012)
Blick zum Chorraum mit den Prinzipalstücken des Thurnauer Gotteshaus. (Foto: Harald Stark, 2008)
Der von Elias Räntz geschaffene Altar mit dem darüber an der Brüstung der Orgelempore befestigten Wappen der Familie von Künsberg. (Foto: Harald Stark, 2015)
Bildunterschrift: Die Herrschaftsemporen in der Thurnauer Kirche. (Foto: Harald Stark, 2008)
Ein Blick an die Kirchendecke mit dem Stuck von Bernardo Quadri. Das Fresko am unteren Bildrand zeigt das Martyrium des Hl. Laurentius. (Foto: Harald Stark, 2015)