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Schlesische Reise 2009 |
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Mittwoch 30. September 2009
Gegen 8.00 Uhr sind wir – meine Mutter und ich –
in Kulmbach aufgebrochen um pünktlich um 9.00 Uhr unseren
sprachkundigen Mitreisenden Norbert Walter in Bayreuth abzuholen.
Gleich bei der Begrüßung überraschte er uns mit
der schlechten Nachricht, dass er Schmerzen in der Nierengegend
hätte. Trotzdem machten wir uns nach einem kurzen Zwischenhalt
bei einer Apotheke auf die Reise in Richtung Osten.
Quer durch Sachsen, an Dresden vorbei, ging es in Richtung Polen.
Auf sächsischer Seite konnte man kaum 50 Kilometer ohne eine
Baustelle zurücklegen. Umso mehr erfreut waren wir, als wir
vom Grenzübertritt bei Görlitz bis nach Breslau ohne
irgend ein Hindernis auf einer gut ausgebauten, neu hergerichteten
Autobahn fahren konnten.
Gegen 14.50 Uhr verließen wir die Autobahn bei Brieg und
unser Navi leitete uns ein erstes Mal an Pampitz vorbei und durch
Schönfeld hindurch bis wir treffsicher um 15.15 Uhr unser
Hotel in Brieg erreichten.
Nach einer kurzen Ruhepause ging es um 16.00 Uhr erst einmal in
eine nahe Bank zum Geldwechseln. Mit Zloty ausgerüstet machten
wir uns – diesmal ohne Navi, weil dieses das Dorf Danielowice
nicht kannte – auf den Weg in Mutters Heimatdorf Dammelwitz.
Ähnlich wie Odysseus erreichten wir das Ziel mit einiger
Verspätung, aber noch im letzten Abendlicht. Ein kurzer Spaziergang
vermittelte uns einen ersten Eindruck von der wirklich kleinen
Siedlung: Auf der einen Seite liegt das Gut, von diesem diesem
durch einen inzwischen zur Wiese gewordenen Weiher getrennt, verläuft
die Straße, an der noch einige wenige kleine Häuschen
stehen.
Durch ein offenes Tor gelangten wir in den großen Gutshof.
Das Schloss scheint von einem Wassergraben umgeben gewesen zu
sein, von dem noch ein Tümpel mit reichlich Wasserlinsen
übrig geblieben ist. Vom Schloss konnten wir auf den ersten
Blick – und zu näheren Nachforschungen hatten wir leider
weder Zeit noch Gelegenheit – keine Reste mehr entdecken.
An seiner Stelle steht heute ein moderner Betonwürfelbau.
Mutters Geburtshaus, ein lang gezogenes zweistöckiges Wohnhaus
mit Satteldach steht noch. Einige Frauen und Kinder standen davor;
unser Reisebegleiter fragte den „Herrn“ des Hauses,
ob uns ein kleiner Blick ins Innere gestattet würde. Dieser
lehnte dieses jedoch ab, was Mutter natürlich sehr enttäuschte.
Mit Hilfe unseres Navis machten wir uns nun in der Dämmerung
auf den Heimweg nach Brieg, wo wir gegen 19.00 Uhr ohne weitere
Irrfahrten anlangten und dort im Ratskeller unser wohlverdientes
Abendessen einnahmen. |
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Dammelwitz: Ein paar Bauernhäuschen |
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und der Gutshof mit Mutters Elternhaus |
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Donnerstag 01. Oktober 2009
Nachdem sich das Schlafen auf dem nur etwa 90 cm breiten und
dazu noch nach oben gewölbten Bett, das mir bei jeder Drehung
einen zusätzlichen „Schubs“ verpasste, als etwas
unruhig erwies, entschloss ich mich – ganz entgegen meiner
sonstigen Gewohnheit – schon um 6.00 Uhr aufzustehen. Ich
machte mich langsam ausgehfertig, las noch ein wenig und verließ
kurz vor 7.00 Uhr das Hotel um nach unserem Mietwagen zu schauen,
der sich glücklicherweise noch wohlbehalten im Hinterhof
befand. Ich lief noch ein paar Schritte zum Stadtpark, wo noch
Wälle und Gräben von der im 19. Jhd. geschleiften Stadtbefestigung
von Brieg künden.
Nach dem Frühstuck ging es dann gegen 8.15 Uhr ab in Richtung
Breslau, wo heute ein Archivbesuch angesagt war. Der Verkehr in
Breslau war uhrzeit- und baustellenbedingt – wir kamen gerade
recht zur Morgenstoßzeit – mörderisch. Dank unseres
Navi kamen wir aber doch auf dem kürzesten Weg so gegen 9.45
Uhr zum Archiv, fanden auch nach kurzer Suche einen Parkplatz.
Dann ging es in das Archiwum Panstowe Wroclaw, wo wir Dank unseres
Dolmetschers Norbert Walter auch bald einen deutschsprechenden
Sachbearbeiter zugewiesen bekamen.
Die intensive Vorbereitung auf den Archivbesuch machte sich bezahlt.
Ich konnte rasch die Repertorien zu den einschlägigen Beständen
erhalten und hatte noch vor der Mittagspause – der Lesesaal
schließt um 12.00 Uhr für 20 Minuten – mehrere
Pläne aus den Beständen der Generalkommission von Schlesien,
sowie einen Katasterplan von Dammelwitz vor mir liegen. Unbürokratisch
erhielt ich die Genehmigung diese Pläne selbst fotografieren
zu dürfen, wofür eine kleine Gebühr von zusammen
18 Zloty anfiel. Den Nachmittag nutzte ich noch zum Durcharbeiten
weiterer Repertorien und zum Abschreiben eines Laudemienablösungsvertrages
für den Schulzen Gephard in Giersdorf aus dem Jahr 1844.
Gegen 15.00 Uhr hatte ich mich wieder mit Mutter und Norbert Walter
verabredet, die in der Zwischenzeit die Stadt etwas unsicher gemacht
hatten. Nun ging es bei zunehmend schlechter werdendem Wetter
zuerst zum Einkaufen in eine Apotheke und in eine polnische Metzgerei,
wo wir uns mit einheimischen Wurstspezialitäten eindeckten.
Dann fuhren wir zu Norbert Walters Schwager und Schwägerin,
wo wir polnische Gastfreundschaft kennenlernen durften und ein
fulminantes Abendessen kredenzt bekamen. Gegen 21.30 Uhr kamen
wir schließlich müde aber glücklich wieder in
unserem Hotel in Brieg an.
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Das Staatsarchiv Breslau |
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Das Geppert'sche Anwesen in Dammelwitz |
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Freitag 02. Oktober 2009
Nachdem ich auf die Idee gekommen war, die beiden 90cm-Betten
in meinem Zimmer zusammenzuschieben und sie mittels der Tagesdecke
des unbenutzten Bettes zu einer Schlaffläche zu verbinden,
war die vergangene Nacht sehr erholsam gewesen; um 6.45 Uhr riß
mich mein Wecker aus dem Morgenschlaf und bescherte mir die gewohnte
morgentliche Schlaftrunkenheit. Nach der Morgentoilette ging es
dann pünktlich um 7.30 Uhr zum Frühstück. Nachdem
wir das nötige Fundament für den Tag gelegt hatten,
ging es zunächst einmal auf einen unweit unseres Hotels stattfindenden
Wochenmarkt, wo es neben Gemüse und Obst auch Textilien,
Möbel, Spielzeug und allerlei Ramsch aber nicht die gesuchten
Rasiermesser und Wecker zum Aufziehen zu kaufen gab. In einem
benachbarten Einkaufsmarkt wurden wir auch bei der Suche nach
den gefragten Artikeln fündig und so konnten wir noch einmal
in Richtung Ohlau starten.
Schon bei den Fahrten der vergangenen beiden Tage war mir das
schmucke Kirchlein in Godzikowice (Rosenhain) aufgefallen. Wir
machten also hier unseren ersten Halt und fanden nicht nur zwei
Arbeiter auf dem Schindeldach, sondern zu unserer großen
Freude auch das Kirchportal offen. Gleich beim Eintreten in das
Gotteshaus bewunderte ich einen gewissermaßen als Türschwelle
eingesetzten mittelalterlichen Grabstein, der – wie ich
dem Kunstdenkmälerband entnehmen konnte, das Wappen der Familie
Sachenkirch trägt. In das mit Akanthusschnitzerei versehene
barocke Altarretabel war ein großes, modernes Altarblatt
eingefügt worden. Die übrige Einrichtung erwies sich
ebenfalls als recht modern; mit Ausnahme eines wohl spätmittelalterlichen
Taufsteins, der heute als Weihwasserbecken dient.
Auch die Kirche in Wierzbno (Würben) animierte mich bei der
Vorbeifahrt zum Bremsen.
Der von außen sehr altertümlich wirkende gotische Ziegelbau
mit seinem mit Notdach versehenen Turm, zeigte sich im inneren
ebenfalls in gefällig renoviertem Stil. Im Zentrum des spätbarocken
Hochaltars eine Kopie des Tschenstochauer Gnadenbildes, an Stelle
von Seitenaltären zwei im Nazarenerstil gehaltene große
Gemälde. Das von einer bemalten Kassettendecke überspannte
Langhaus wird zu beiden Seiten von zwei großen Wandgemälden
des Hl. Abendmahls und der Geburt Christi geschmückt. Unter
denselben hängen moderne Kreuzwegstationen.
Die Kirche in Piskorzow (Großpeiskerau) fanden wir leider
verschlossen vor, so dass es ohne größeren Aufenthalt
weiter nach Piskorzowek (Kleinpeiskerau) ging, wohin Karl und
Ingrid Geppert täglich vom nahen Dammelwitz aus in die Grundschule
liefen. Tatsächlich entdeckten wir ein Gebäude, das
sich vielleicht als das damalige Schulgebäude identifizieren
lässt. Nun war es nicht mehr weit nach Danielowice (Dammelwitz),
wohin wir nicht nur wegen des zum fotografieren günstigeren
Vormittagssonnenstandes noch einmal zurückkehren wollten.
Der Zufall bescherte uns die Begegnung mit Herrn Wnuck, dessen
Vater seit 1945 in Dammelwitz wohnte und der hier auch 1947 das
Licht der Welt erblickt hatte. Er wohnt in der anderen Haushälfte
des ehemals Geppert'schen Anwesens (Danielowice Haus-Nr. 2) und
bestätigte Mutters Erinnerung, dass es sich bei dem heute
langgestreckt erscheinenden Anwesen um zwei einzelstehende, aus
Erdgeschoss und einem Obergeschoß bestehende, nicht unterkellerte
Häuser gehandelt hat. Erst 1957 wurden die beiden Gebäude
durch einen Zwischenbau miteinander verbunden. Der Hauseingang
zum Geppert'schen Teil befand sich auf der Giebelseite. Mutter
erinnert sich, dass einige Stufen ins Parterre führten, wo
die Wohnräume der Gepperts lagen. Vom Eingang aus gelangte
man zunächst in die Küche. Im Obergeschoß wohnte
Herr Malitzke, ein Rentner, mit seiner Frau. Vor der Tür,
so erinnert sie sich, habe sie als kleines Mädchen oft Nüsse
aufgeklopft, die sie im „Geflügelgarten“ aufgelesen
hatte.
Hinter dem Haus (Traufseite) lag der Garten der Gepperts, der
sich bis zu einem nahen Wäldchen erstreckte. Hier entdeckte
ich einen halb verfallenen erdüberschütteten Keller,
der wohl zum Geppert`schen Anwesen gehört hatte und Mutter
freute sich herausgefunden zu haben, wo sich der Familienkeller
befunden hat. Im Garten sahen wir auch noch einen alten Pumpbrunnen,
der vielleicht ebenfalls noch aus Geppert`scher Zeit stammte.
Auch der nordöstlich, in einem stumpfen Winkel zum Wohngebäude
stehende Stall der Gepperts ist noch vorhanden, wird heute aber
als Lagerschuppen verwendet. Die einst seitlich in das Obergeschoss
des Stalles führende Treppe ist kaputt und nicht mehr begehbar.
Hinter diesem Stall befand sich der Hühnerstall der Gepperts
und hier verläuft auch die den nördlichen Hofraum abschließende
Mauer, die Mutter noch – aus der Sicht des kleinen Mädchens,
das sie damals war - als unendlich hoch in Erinnerung geblieben
ist. Auch wenn es uns nicht vergönnt war, einen Blick in
das geppert'sche Anwesen zu werfen, so hat uns doch Herr Wnuck
– der freundliche Nachbar – einige interessante Details
zu den einstigen Verhältnissen berichten können.
Heute ist das Gut Dammelwitz Sitz einer landwirtschaftlichen Genossenschaft;
an Stelle des ehemaligen „Schlosses“ steht eine im
modernen kubischen Stil errichtete Grundschule für die Dörfer
in der Umgebung. Im Dickicht zwischen der Schule und dem Rest
des ehemaligen Schloßgrabens zeigte uns Herr Wnuck die Überbleibsel
eines im klassizistischen Stil des frühen 19. Jahrhunderts
errichteten Gruftgebäudes. Wir dankten ihm für die Zeit,
die er sich für uns genommen hatten, verabschiedeten uns
und setzten unsere Fahrt in Richtung Gostkowice (Eulendorf) fort.
Auf dem Weg dorthin kamen wir am Dammelwitzer Neubauviertel mit
einigen schmucken Häuschen vorbei, dann erinnerte sich Mutter
an die Bombentrichter, die sie als Kind links der Straße
nach Eulendorf gesehen hatte. Das ganze Dorf war damals an die
Stelle gelaufen, an der Bomber wohl überflüssigen „Ballast“
abgeworfen hatten.
In Eulendorf befindet sich das nächste Landgut, das Dammelwitz
in seiner Größe wohl noch übertraf. Die Gebäude
sind baufällig, wurden jedoch – wie uns ein dort zufällig
über den Weg gelaufener Arbeiter berichtete – von einem
Investor erworben, der das Gut zu einem Reiterhotel umgestalten
will. Ein großer Weiher als Landschaftselement im verwilderten
Rest einer wohl ehemals im englischen Stil gepflegten Parkanlage,
wurde bereits geschüttet.
Über Nowojowice (Haltauf) – den einstigen Gemeindesitz
für Dammelwitz und Eulendorf – ging es nach Borek Strzelinski
(Großburg). Durch eine enge Gasse sah ich den Kirchturm
jener Kirche, in der Mutter einst getauft worden ist. Leider fanden
wir das Tor durch die Kirchhofmauer am Ende dieser Gasse verschlossen
vor. Enttäuscht wollten wir uns schon auf den Rückweg
machen, als uns ein alter Herr entgegen kam, der uns ansprach.
Norbert Walter erklärte ihm, dass wir gerne die Kirche besichtigen
wollten, in der Mutter vor 70 Jahren getauft worden ist. So führte
uns der alte Mann durch eine kleine Pforte am Pfarrhof in den
Kirchhof und als wir gerade vor der Kirchentür ankamen, schlossen
Handwerker das große Tor zum Kirchhof auf, die uns dann
in die Kirche Einlaß gewährten. Soviele glückliche
Zufälle können wohl kaum der Vorsehung zugeschrieben
werden! So nutzten wir unseren Besuch in Mutters Taufkirche um
Gott im Stillen für seinen Segen zu danken, den er unserer
Fahrt zu den familiären Wurzeln geschenkt hatte.
Die Kirche in Großburg hat noch vieles von seiner historischen
Ausstattung bewahrt. Schon die Tür zum Turmuntergeschoss
ist mit der Jahreszahl 1579 bezeichnet. Das Kirchenschiff ist
mit einer dreiseitig umlaufenden Barockempore ausgestattet, deren
Füllungen mit biblischen Darstellungen bemalt sind. Der ebenfalls
dem 17. Jahrhundert zuzuschreibende Altar mit einem figurenreichen
üppig geschnitzen und in Silber gehaltenen Auszug auf dem
Gebälk der Ädikula enthielt leider ein neues, Jesus
im Nazarenerstil darstellendes Altarblatt und zwei halb von den
Säulen der Ädikula verdeckte Heiligenfiguren sowie einen
kreuzbekrönten weißen Schreintabernakel als katholische
Zutaten. Die ohne Fuß an der Wand montierte Kanzel mit gedrehten
Säulen und ornamentgeschmückten Füllungen an Korb
und Aufgang entstand wohl gleichzeitig mit dem Altar. Einen besonderen
Schmuck bildent die mit Arabesken bemalte Kassettendecke aus dem
17. Jahrhundert. Sie zeigt in einem von vier Kassettenfeldern
gebildeten Herz drei Allianzwappen aus der Familie von Kanitz.
In einem Einkaufsmarkt in Großburg deckten wir uns auch
mit einer Brotzeit ein – die Mittagszeit war schon lange
überschritten. Beim Verlassen des Ladens – in dem wir
von einer überaus inkompetenten und im Schneckentempo arbeitenden
Verkäuferin aufgehalten worden waren – belästigte
uns ein sehr aufdringlicher Bettler, den ich fast in die Autotür
einklemmen musste, bevor er uns weiterfahren ließ. Halt
machten wir erst wieder im nahen Kochern, wo wir einen Blick in
den verfallenen Gutshof warfen. Erfreut stellten wir jedoch fest,
dass wenigstens das Herrenhaus einen Herrn gefunden hatte, der
sich darum kümmert. Es sah zwar noch sehr renovierungsbedürftig
aus, stand aber in einem sehr gepflegten parkartigen Gelände.
Hier schmeckte uns auch die Mittagsbrotzeit vorzüglich und
bald ging es weiter über Dammelwitz, Klein- und Großpeiskerau,
Würben und Göllnerhain (Gaj Olawski) nach Ohlau.
Hier führte uns das Navi zunächst über die Oderbrücke,
von der – bzw. von deren Vorgängerin – Onkel
Fritz so gerne auf vorbeifahrende Lastkähne, vor allem auf
den von Onkel Paul, zu spucken pflegte – in die Ufergasse,
wo im Haus Nr. 4 meine Großmutter Frieda Glemnitz 1905 das
Licht der Welt erblickt hatte. Das Haus macht einen unbewohnten
Eindruck, im Erdgeschoss war ein Fenster eingeschlagen, die Hoftür
sah aus, als ob sie seit Glemnitz' Abzug nicht mehr oft aufgemacht
worden ist. Dies ermutigte Mutter an diesem verklemmten Holztor
zu rütteln, was postwendend von einer jüngeren Frau
aus einem Fenster im 1. Stock der Giebelseite mit der –
natürlich auf Polnisch gestellten - Frage quittiert wurde,
was denn das solle. Als unser Dolmetscher das mütterliche
Vorgehen zu erklären versuchte, erhielt er nur zur Antwort,
dass dieses auch in Polen rechtlich nicht zu vertreten sei. So
machten wir uns schnell aus dem Staub. Irgendwo zwischen dem Glemnitz'schen
Wohnhaus in der Ufergasse und der nahen Oderbrücke, mag auch
mein Urgroßvater Gustav Glemnitz begraben liegen. Sein behinderter
jüngster Sohn Fritz, damals 23 Jahre alt, musste seinen verstorbenen
Vater am Wegrand verscharren, weil die Oderbrücke zerstört
und dadurch der Weg zum Ohlauer Friedhof versperrt war. Dieses
Erlebnis hat unseren Onkel Fritz sein Leben lang beschäftigt.
Doch war dieses Leid noch nicht genug; Fritz wurde noch von den
russischen Besatzern misshandelt, weil er versteckte Wertsachen
preisgeben sollte.
Doch nicht lange hingen wir trüben Gedanken nach, waren wir
doch besonders gespannt auf den Ohlauer „Ring“ mit
der berühmten Kunstuhr am Rathausturm. Wir stellten unser
Auto am Schlossplatz ab, gönnten dem spätbarocken Schlossgebäude
einen kurzen Blick und gingen dann zum Marktplatz, der mit den
alten Bürgerhäusern – nur noch wenige alte Gebäude
erinnern an die alte Pracht – auch seinen Charme eingebüßt
hat. Nur das Rathaus-Ensemble erscheint in gut renoviertem Zustand.
Da es zwanzig Minuten vor 16.00 Uhr war und wir den Ohlauer Tod
in Aktion erleben wollten, kämpften wir uns durch Regen und
Verkehr zunächst zu der dem Rathaus gegenüber liegenden
Pfarrkirche. Deren infolge des verdunkelten Himmels ebenfalls
recht dunkles Innere war leider nur durch ein Gitter von der Vorhalle
aus zu betrachten. Zu sehen bekamen wir ein recht modernes Interieur
und einige alte Grabsteine.
Um Vier zuckte dann der Sensensmann am Rathausturm dreimal mit
der Sense – ich hatte mir das von Großmutter oft beschriebene
Spektakel sensationeller vorgestellt! Dann machten wir uns vergeblich
auf die Suche nach Ansichtskarten von Ohlau – wenigstens
fand Mutter in einer Buchhandlung ein deutschsprachiges Kochbuch
mit polnischen Küchengeheimnissen. Da am Ring auch –
außer einem polnischen Pizzablitz - kein Gasthaus oder Café
zum Verweilen und Stärken einlud, verließen wir Ohlau
wieder; mit uns fuhr ein kollektives Gefühl der Enttäuschung,
an dem nicht nur das immer feuchter werdende Wetter schuld war.
Die in Brieg noch vorhandene Abendsonne nutzte ich noch schnell
für ein paar Fotos vom Rathaus, dann gingen wir in unser
Hotel, wo wir uns erst einmal von den Anstrengungen dieses Marathontages
ausruhen mussten. Das Abendessen genossen wir in der hoteleigenen
Pizzeria. |
Mutter vor der Gartenmauer in Dammelwitz |
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Das herrschaftliche Gutsgebäude
in Dammelwitz vor 1945 |
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An Stelle des Schlosses steht heute
dieses Schulgebäude |
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Die Kirche von Würben |
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Das Innere der Kirche von Würben |
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Großpeiskerau |
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Gut Eulendorf |
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Die Kirche in Großburg |
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Der Innenraum der Kirche in Großburg |
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Ausschnitt der Kirchendecke |
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Die Oderbrücke in Ohlau |
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Das Glemnitz'sche Haus in der Ufgergasse
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Samstag 03. Oktober 2009
Sonnenstrahlen schienen durchs Fenster, als mich der Wecker
wieder um 6.45 Uhr aus dem Schlaf riss. Trotzdem dauerte es
heute ziemlich lange, bis ich mich aus dem Bett quälte;
so kam ich erst mit kleiner Verspätung zum Frühstück.
Der heutige Vormittag gehörte der Stadt Brieg. Wir stellten
unser Auto auf dem bewachten Parkplatz vor dem Rathaus ab und
gingen dann erst einmal zur Nikolauskirche. Die ab 1370 errichtete
Pfeilerbasilika überrascht durch ihr schmales, doch überaus
hohes Hauptschiff. Die große und prachtvolle, in den Jahren
1725 bis 1730 erbaute Orgel und die steinerne Kanzel von 1593
suchten wir leider vergebens. Im Chor ist dafür ein schöner
spätgotischer Schnitzaltar als Hochaltar aufgestellt. In
den Seitenschiffen haben sich noch einige alte Grabdenkmäler
erhalten; im nördlichen Seitenschiff zudem der prächtige
Taufstein von 1576.
Über den Marktplatz, wo wir im Rathaushof noch Überreste
der ehemaligen, aus schwrzen Ornamentmalereien bestehenden Wandfassung
sehen konnten, ging es nun zum Schlossplatz. Da es noch nicht
ganz 10.00 Uhr und das Schloss deshalb geschlossen war, besichtigten
wir zunächst die vis á vis gelegene katholische
Pfarrkirche, die bis 1801 den Brieger Jesuiten als Klosterkirche
diente. Der prachtvolle Barockbau war von 1735 bis 1745 nach
Plänen des bauverständigen Jesuitenpaters Joseph Frisch
errichtet worden. Reiche Stuckaturen überziehen die Wände
und Decke des Innenraumes, dessen monumentale Wirkung durch
die geschickte perspektivische Deckenmalerei noch erhöht
wird. Interessant auch der zu einem großen Teil als Wandmalerei
ausgeführte Hochaltar.
Gegenüber der ehemaligen Jesuitenkirche fasziniert vor
allem der neben den gotischen, in Ziegelbau aufgeführten
Chor der Schlosskapelle St. Hedwig gesetzte Torbau des Schlosses.
Der ab 1548 mit dem Umbau des Brieger Herzogsschlosses beschäftigte
Italiener Jacob Baar schuf hier bis 1553 ein mit reicher Renaissance-Dekoration
überzogenes Bauwerk. Der Architrav über den Portalen
ist mit drei Wappen geschmückt. Zwischen denselben die
Skulpturen des fürstlichen Bauherrn, Herzog Georgs II.
von Brieg (1523 - 1586) und seiner Gemahlin Barbara (1527 -
1595), einer Tochter des Kurfürsten Joachim II. von Brandenburg.
Darüber - zwischen der 1. und der 2. Etage, finden sich
Reliefdarstellungen von 24 Vorfahren des Herzogs.
Das Tor vermittelt den Zugang zum prächtigen Innenhof des
Schlosses, der auf drei Seiten in voller Höhe mit offenen,
aus Sandstein gefertigten Laubengängen umgeben ist, während
die dem Tor gegenüber liegende Seite von einer niedrigeren
Mauer mit Tor zum Garten abgeschlossen wird. Ein großer
Teil des Schlosses war 1741 im Zuge der Belagerung und Beschießung
durch die Preußen zerstört und erst in den Jahren
1966 bis 1990 rekonstruiert worden. Heute beherbergt das Schloss
das Piastenmuseum. In den Kellern des Ostflügels sind Grabmäler
und Särge der schlesischen Piasten ausgestellt. Die Räume
im Erdgeschoß des östlichen "Oderflügels"
zeichnen sich besonders durch ihre prachtvollen Gewölbedecken
aus; es muss sich um ehemalige Repräsentationsräume
gehandelt haben. Hier befindet sich auch ein kleiner Raum mit
dem an die Wand gemalten Stammbaum von Herzog Georgs Sohn Joachim
Friedrich (1550 - 1602). Die Räume enthalten Exponate zur
Geschichte Briegs und der Piasten. In den Räumen des 1.
Obergeschosses sind Möbel ausgestellt, in der 2. Etage
sakrale Kunst von der Gotik bis zum Barock.
Am Piasten-Gymnasium, einem von 1564 bis 1569 im Auftrag von
Herzog Georg durch Jacob Baar errichteten Renaissance-Bau vorbei,
ging es nun zurück zum Rathausplatz, wo wir im Ratskeller
zu Mittag aßen. Am Nachmittag ging es dann über Zlobizna
(Schüsseldorf) und Krzyzowice (Kreisewitz) nach Oborki
(Schönfeld), wo wir die alte, zum großen Teil aus
Holz errichtete Kirche leider verschlossen fanden. Auf dem Kirchhof
befinden sich noch zahlreiche vom Gras überwucherte Grabeinfassungen
und an der Kirchhofmauer ist Schutt aus zerbrochenen Grabsteinen
aufgeschichtet. Durch Przlesia (Konradswaldau) gelangten wir
nach wenigen Kilometern nach Pepice (Pampitz), wo die Familie
Geppert von 1793 bis 1945 ansässig war. Den Aufzeichnungen
des Pfarrers Richard Scholz zufolge (Briegische Heimatblätter,
S. 199 f.) war das Anwesen Nr. 30 das Stammhaus der Familie;
1816 erwarb Christian Gottlob Geppert das Anwesen Nr. 34, das
bis 1945 im Besitz der Familie blieb. Da Großvater Gerhard
infolge eines Unfalls als Kind "lahm" war, sollte
er nach dem Willen seines Vaters eigentlich Lehrer werden und
sein Bruder Reinhold war als Erbe des Pampitzer Anwesens bestimmt.
Da Gerhard jedoch unbedingt die Tradition seiner Familie fortsetzen
wollte und Landwirtschaft studierte, ließ er sich sein
Erbteil auszahlen und erwarb sich dafür 1937 einen Anteil
des Herrschaftsgutes Dammelwitz. Leider haben sich auch in Pampitz
die Hausnummern seit dem Zweiten Weltkrieg geändert, so
dass es uns nicht möglich war, das Haus meiner Urgroßeltern
zu ermitteln. Mutter erinnert sich noch an die an das Haus angebaute
hölzerne Laube, in der sie Großmutters Apfelkuchen
mit Resten von harten Kerngehäusen ("Apfelgriebsche")
essen musste, was dem Kind damals gar nicht behagte.
Pampitz ist ein sehr großes Dorf; auch hier wird die Dorfstraße
von alten Alleebäumen gesäumt. Die erhöht gelegene
und mit einer steinernen Kirchhofmauer umgebene Kirche war verschlossen.
Sie liegt etwa in der Mitte der beidseitig der Straße
angelegten Siedlung. Die alte Bausubstanz zeigt sich weitgehend
erhalten, wenn sie auch meist sehr sanierungsbedürftig
ist.
Da der Tank unseres Mietwagens fast leer war, fuhren wir zunächst
wieder zurück in Richtung Brieg. Über Konradswaldau
und Bärzdorf (Bierzow) ging es nach Mollwitz (Malujowice),
wo ich meinen Begleitern nicht nur über die erste Schlacht
Friedrichs des Großen am 10. April 1741 berichtete, sondern
wo wir vor allem die Kirche mit ihren großartigen Wandmalereien
in Augenschein nahmen. Die Kirche, im frühen 14. Jahrhundert
errichtet, ist von Westen her durch eine offene Vorhalle und
ein reich gestuftes gotisches Portal zu betreten. Das Portaltympanon
zeigt die Krönung Mariens und die Anbetung der hl. drei
Könige. Das Innere des Kirchenraums ist auf allen Wandflächen
mit biblischen Szenen und Heiligendarstellungen bemalt; die
Malereien sind überwiegend im 14. und 15. Jahrhundert entstanden.
Im Chor steht ein barocker Altar, daneben ein mit der Jahreszahl
1511 bezeichnetes Sakramentshäuschen, in dem heute das
Ewige Licht brennt. Den Abschluss nach oben bildet eine üppig
mit Ornamentmalereien überzogene, wohl ebenfalls noch spätmittelalterliche
Holzbalkendecke.
Nach kurzem Tankstop und dem Besuch in einem Lidl-Einkaufsmarkt
in Brieg ging es über Olszanka (Alzenau) nach Gierszowice
(Giersdorf). Hier waren die Gepperts Erb- und Gerichtsschulzen
und kamen gegen Ende des 18. Jahrhunderts in das nahe Pampitz.
Leider konnte ich über das um einen geräumigen und
nachträglich mit Häusern bebauten Dorfanger situierten
Ort noch nicht viel in Erfahrung bringen. Am oberen Ende des
Dorfangers steht die von einer Mauer und hohen Bäumen umstandene
Kirche, in der sich die Gläubigen gerade zum Gottesdienst
rüsteten. Nun ging es in das nahe Pogorzela (Pogarell),
wo in der Kirche ebenfalls schöne Wandmalereien zu sehen
sein sollen. Wir wollten aber den Gottesdienst nicht stören
und fuhren deshalb wieder zurück nach Brieg, wo wir nach
einer Ruhepause das Abendessen wieder in der Pizzeria im Haus
einnahmen.
Sonntag 4. Oktober 2009
Am Sonntag Morgen trafen wir uns erst um 8.00 Uhr zum Frühstück.
Schon kurz nach 9.00 Uhr konnten wir aufbrechen. Noch einmal
machte ich einen kurzen Abstecher nach Pampitz, dann ging es
auf die Autobahn in Richtung Görlitz. In Zgorzelec, dem
polnischen Teil von Görlitz, wurde noch einmal getankt,
dann ging es über die Lausitzer Neiße hinüber
in den zu Sachsen gehörigen Stadtteil, wo wir die mächtige
Peterskirche, die herrliche Altstadt und nach dem Mittagessen
noch die Dreifaltigkeitskirche besichtigten.
Nach weiteren 3 1/2 Stunden Fahrt kamen wir gegen 17.00 Uhr
in Bayreuth an, wo wir unseren Dolmetscher, der zum Gelingen
unserer Fahrt wesentlich beigetragen hat, mit unserem herzlichsten
Dank absetzten. Um 17.30 Uhr kamen wir dann wohlbehalten in
Kulmbach an; die Reise zu den Wurzeln der Familie hatte ein
glückliches Ende genommen.
Harald Stark
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Der Rathausturm mit dem "Ohlauer
Tod" |
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Das Brieger Rathaus vor 1945 |
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Die selbe Ansicht 2009 |
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Die Aussenfassade des Brieger Schlosstorbaues |
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Der rekonstruierte Innenhof des Schlosses
in Brieg |
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Die Kirche in Mollwitz |
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Das Innere der Kirche in Mollwitz |
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Detail der Wandmalereien |
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