Schlesische Reise 2009

 

Mittwoch 30. September 2009

Gegen 8.00 Uhr sind wir – meine Mutter und ich – in Kulmbach aufgebrochen um pünktlich um 9.00 Uhr unseren sprachkundigen Mitreisenden Norbert Walter in Bayreuth abzuholen. Gleich bei der Begrüßung überraschte er uns mit der schlechten Nachricht, dass er Schmerzen in der Nierengegend hätte. Trotzdem machten wir uns nach einem kurzen Zwischenhalt bei einer Apotheke auf die Reise in Richtung Osten.
Quer durch Sachsen, an Dresden vorbei, ging es in Richtung Polen. Auf sächsischer Seite konnte man kaum 50 Kilometer ohne eine Baustelle zurücklegen. Umso mehr erfreut waren wir, als wir vom Grenzübertritt bei Görlitz bis nach Breslau ohne irgend ein Hindernis auf einer gut ausgebauten, neu hergerichteten Autobahn fahren konnten.
Gegen 14.50 Uhr verließen wir die Autobahn bei Brieg und unser Navi leitete uns ein erstes Mal an Pampitz vorbei und durch Schönfeld hindurch bis wir treffsicher um 15.15 Uhr unser Hotel in Brieg erreichten.
Nach einer kurzen Ruhepause ging es um 16.00 Uhr erst einmal in eine nahe Bank zum Geldwechseln. Mit Zloty ausgerüstet machten wir uns – diesmal ohne Navi, weil dieses das Dorf Danielowice nicht kannte – auf den Weg in Mutters Heimatdorf Dammelwitz. Ähnlich wie Odysseus erreichten wir das Ziel mit einiger Verspätung, aber noch im letzten Abendlicht. Ein kurzer Spaziergang vermittelte uns einen ersten Eindruck von der wirklich kleinen Siedlung: Auf der einen Seite liegt das Gut, von diesem diesem durch einen inzwischen zur Wiese gewordenen Weiher getrennt, verläuft die Straße, an der noch einige wenige kleine Häuschen stehen.
Durch ein offenes Tor gelangten wir in den großen Gutshof. Das Schloss scheint von einem Wassergraben umgeben gewesen zu sein, von dem noch ein Tümpel mit reichlich Wasserlinsen übrig geblieben ist. Vom Schloss konnten wir auf den ersten Blick – und zu näheren Nachforschungen hatten wir leider weder Zeit noch Gelegenheit – keine Reste mehr entdecken. An seiner Stelle steht heute ein moderner Betonwürfelbau. Mutters Geburtshaus, ein lang gezogenes zweistöckiges Wohnhaus mit Satteldach steht noch. Einige Frauen und Kinder standen davor; unser Reisebegleiter fragte den „Herrn“ des Hauses, ob uns ein kleiner Blick ins Innere gestattet würde. Dieser lehnte dieses jedoch ab, was Mutter natürlich sehr enttäuschte.
Mit Hilfe unseres Navis machten wir uns nun in der Dämmerung auf den Heimweg nach Brieg, wo wir gegen 19.00 Uhr ohne weitere Irrfahrten anlangten und dort im Ratskeller unser wohlverdientes Abendessen einnahmen.

Dammelwitz: Ein paar Bauernhäuschen
und der Gutshof mit Mutters Elternhaus

Donnerstag 01. Oktober 2009

Nachdem sich das Schlafen auf dem nur etwa 90 cm breiten und dazu noch nach oben gewölbten Bett, das mir bei jeder Drehung einen zusätzlichen „Schubs“ verpasste, als etwas unruhig erwies, entschloss ich mich – ganz entgegen meiner sonstigen Gewohnheit – schon um 6.00 Uhr aufzustehen. Ich machte mich langsam ausgehfertig, las noch ein wenig und verließ kurz vor 7.00 Uhr das Hotel um nach unserem Mietwagen zu schauen, der sich glücklicherweise noch wohlbehalten im Hinterhof befand. Ich lief noch ein paar Schritte zum Stadtpark, wo noch Wälle und Gräben von der im 19. Jhd. geschleiften Stadtbefestigung von Brieg künden.
Nach dem Frühstuck ging es dann gegen 8.15 Uhr ab in Richtung Breslau, wo heute ein Archivbesuch angesagt war. Der Verkehr in Breslau war uhrzeit- und baustellenbedingt – wir kamen gerade recht zur Morgenstoßzeit – mörderisch. Dank unseres Navi kamen wir aber doch auf dem kürzesten Weg so gegen 9.45 Uhr zum Archiv, fanden auch nach kurzer Suche einen Parkplatz. Dann ging es in das Archiwum Panstowe Wroclaw, wo wir Dank unseres Dolmetschers Norbert Walter auch bald einen deutschsprechenden Sachbearbeiter zugewiesen bekamen.
Die intensive Vorbereitung auf den Archivbesuch machte sich bezahlt. Ich konnte rasch die Repertorien zu den einschlägigen Beständen erhalten und hatte noch vor der Mittagspause – der Lesesaal schließt um 12.00 Uhr für 20 Minuten – mehrere Pläne aus den Beständen der Generalkommission von Schlesien, sowie einen Katasterplan von Dammelwitz vor mir liegen. Unbürokratisch erhielt ich die Genehmigung diese Pläne selbst fotografieren zu dürfen, wofür eine kleine Gebühr von zusammen 18 Zloty anfiel. Den Nachmittag nutzte ich noch zum Durcharbeiten weiterer Repertorien und zum Abschreiben eines Laudemienablösungsvertrages für den Schulzen Gephard in Giersdorf aus dem Jahr 1844. Gegen 15.00 Uhr hatte ich mich wieder mit Mutter und Norbert Walter verabredet, die in der Zwischenzeit die Stadt etwas unsicher gemacht hatten. Nun ging es bei zunehmend schlechter werdendem Wetter zuerst zum Einkaufen in eine Apotheke und in eine polnische Metzgerei, wo wir uns mit einheimischen Wurstspezialitäten eindeckten. Dann fuhren wir zu Norbert Walters Schwager und Schwägerin, wo wir polnische Gastfreundschaft kennenlernen durften und ein fulminantes Abendessen kredenzt bekamen. Gegen 21.30 Uhr kamen wir schließlich müde aber glücklich wieder in unserem Hotel in Brieg an.

 

Das Staatsarchiv Breslau
Das Geppert'sche Anwesen in Dammelwitz

Freitag 02. Oktober 2009

Nachdem ich auf die Idee gekommen war, die beiden 90cm-Betten in meinem Zimmer zusammenzuschieben und sie mittels der Tagesdecke des unbenutzten Bettes zu einer Schlaffläche zu verbinden, war die vergangene Nacht sehr erholsam gewesen; um 6.45 Uhr riß mich mein Wecker aus dem Morgenschlaf und bescherte mir die gewohnte morgentliche Schlaftrunkenheit. Nach der Morgentoilette ging es dann pünktlich um 7.30 Uhr zum Frühstück. Nachdem wir das nötige Fundament für den Tag gelegt hatten, ging es zunächst einmal auf einen unweit unseres Hotels stattfindenden Wochenmarkt, wo es neben Gemüse und Obst auch Textilien, Möbel, Spielzeug und allerlei Ramsch aber nicht die gesuchten Rasiermesser und Wecker zum Aufziehen zu kaufen gab. In einem benachbarten Einkaufsmarkt wurden wir auch bei der Suche nach den gefragten Artikeln fündig und so konnten wir noch einmal in Richtung Ohlau starten.
Schon bei den Fahrten der vergangenen beiden Tage war mir das schmucke Kirchlein in Godzikowice (Rosenhain) aufgefallen. Wir machten also hier unseren ersten Halt und fanden nicht nur zwei Arbeiter auf dem Schindeldach, sondern zu unserer großen Freude auch das Kirchportal offen. Gleich beim Eintreten in das Gotteshaus bewunderte ich einen gewissermaßen als Türschwelle eingesetzten mittelalterlichen Grabstein, der – wie ich dem Kunstdenkmälerband entnehmen konnte, das Wappen der Familie Sachenkirch trägt. In das mit Akanthusschnitzerei versehene barocke Altarretabel war ein großes, modernes Altarblatt eingefügt worden. Die übrige Einrichtung erwies sich ebenfalls als recht modern; mit Ausnahme eines wohl spätmittelalterlichen Taufsteins, der heute als Weihwasserbecken dient.
Auch die Kirche in Wierzbno (Würben) animierte mich bei der Vorbeifahrt zum Bremsen.
Der von außen sehr altertümlich wirkende gotische Ziegelbau mit seinem mit Notdach versehenen Turm, zeigte sich im inneren ebenfalls in gefällig renoviertem Stil. Im Zentrum des spätbarocken Hochaltars eine Kopie des Tschenstochauer Gnadenbildes, an Stelle von Seitenaltären zwei im Nazarenerstil gehaltene große Gemälde. Das von einer bemalten Kassettendecke überspannte Langhaus wird zu beiden Seiten von zwei großen Wandgemälden des Hl. Abendmahls und der Geburt Christi geschmückt. Unter denselben hängen moderne Kreuzwegstationen.
Die Kirche in Piskorzow (Großpeiskerau) fanden wir leider verschlossen vor, so dass es ohne größeren Aufenthalt weiter nach Piskorzowek (Kleinpeiskerau) ging, wohin Karl und Ingrid Geppert täglich vom nahen Dammelwitz aus in die Grundschule liefen. Tatsächlich entdeckten wir ein Gebäude, das sich vielleicht als das damalige Schulgebäude identifizieren lässt. Nun war es nicht mehr weit nach Danielowice (Dammelwitz), wohin wir nicht nur wegen des zum fotografieren günstigeren Vormittagssonnenstandes noch einmal zurückkehren wollten.
Der Zufall bescherte uns die Begegnung mit Herrn Wnuck, dessen Vater seit 1945 in Dammelwitz wohnte und der hier auch 1947 das Licht der Welt erblickt hatte. Er wohnt in der anderen Haushälfte des ehemals Geppert'schen Anwesens (Danielowice Haus-Nr. 2) und bestätigte Mutters Erinnerung, dass es sich bei dem heute langgestreckt erscheinenden Anwesen um zwei einzelstehende, aus Erdgeschoss und einem Obergeschoß bestehende, nicht unterkellerte Häuser gehandelt hat. Erst 1957 wurden die beiden Gebäude durch einen Zwischenbau miteinander verbunden. Der Hauseingang zum Geppert'schen Teil befand sich auf der Giebelseite. Mutter erinnert sich, dass einige Stufen ins Parterre führten, wo die Wohnräume der Gepperts lagen. Vom Eingang aus gelangte man zunächst in die Küche. Im Obergeschoß wohnte Herr Malitzke, ein Rentner, mit seiner Frau. Vor der Tür, so erinnert sie sich, habe sie als kleines Mädchen oft Nüsse aufgeklopft, die sie im „Geflügelgarten“ aufgelesen hatte.
Hinter dem Haus (Traufseite) lag der Garten der Gepperts, der sich bis zu einem nahen Wäldchen erstreckte. Hier entdeckte ich einen halb verfallenen erdüberschütteten Keller, der wohl zum Geppert`schen Anwesen gehört hatte und Mutter freute sich herausgefunden zu haben, wo sich der Familienkeller befunden hat. Im Garten sahen wir auch noch einen alten Pumpbrunnen, der vielleicht ebenfalls noch aus Geppert`scher Zeit stammte. Auch der nordöstlich, in einem stumpfen Winkel zum Wohngebäude stehende Stall der Gepperts ist noch vorhanden, wird heute aber als Lagerschuppen verwendet. Die einst seitlich in das Obergeschoss des Stalles führende Treppe ist kaputt und nicht mehr begehbar. Hinter diesem Stall befand sich der Hühnerstall der Gepperts und hier verläuft auch die den nördlichen Hofraum abschließende Mauer, die Mutter noch – aus der Sicht des kleinen Mädchens, das sie damals war - als unendlich hoch in Erinnerung geblieben ist. Auch wenn es uns nicht vergönnt war, einen Blick in das geppert'sche Anwesen zu werfen, so hat uns doch Herr Wnuck – der freundliche Nachbar – einige interessante Details zu den einstigen Verhältnissen berichten können.
Heute ist das Gut Dammelwitz Sitz einer landwirtschaftlichen Genossenschaft; an Stelle des ehemaligen „Schlosses“ steht eine im modernen kubischen Stil errichtete Grundschule für die Dörfer in der Umgebung. Im Dickicht zwischen der Schule und dem Rest des ehemaligen Schloßgrabens zeigte uns Herr Wnuck die Überbleibsel eines im klassizistischen Stil des frühen 19. Jahrhunderts errichteten Gruftgebäudes. Wir dankten ihm für die Zeit, die er sich für uns genommen hatten, verabschiedeten uns und setzten unsere Fahrt in Richtung Gostkowice (Eulendorf) fort. Auf dem Weg dorthin kamen wir am Dammelwitzer Neubauviertel mit einigen schmucken Häuschen vorbei, dann erinnerte sich Mutter an die Bombentrichter, die sie als Kind links der Straße nach Eulendorf gesehen hatte. Das ganze Dorf war damals an die Stelle gelaufen, an der Bomber wohl überflüssigen „Ballast“ abgeworfen hatten.
In Eulendorf befindet sich das nächste Landgut, das Dammelwitz in seiner Größe wohl noch übertraf. Die Gebäude sind baufällig, wurden jedoch – wie uns ein dort zufällig über den Weg gelaufener Arbeiter berichtete – von einem Investor erworben, der das Gut zu einem Reiterhotel umgestalten will. Ein großer Weiher als Landschaftselement im verwilderten Rest einer wohl ehemals im englischen Stil gepflegten Parkanlage, wurde bereits geschüttet.
Über Nowojowice (Haltauf) – den einstigen Gemeindesitz für Dammelwitz und Eulendorf – ging es nach Borek Strzelinski (Großburg). Durch eine enge Gasse sah ich den Kirchturm jener Kirche, in der Mutter einst getauft worden ist. Leider fanden wir das Tor durch die Kirchhofmauer am Ende dieser Gasse verschlossen vor. Enttäuscht wollten wir uns schon auf den Rückweg machen, als uns ein alter Herr entgegen kam, der uns ansprach. Norbert Walter erklärte ihm, dass wir gerne die Kirche besichtigen wollten, in der Mutter vor 70 Jahren getauft worden ist. So führte uns der alte Mann durch eine kleine Pforte am Pfarrhof in den Kirchhof und als wir gerade vor der Kirchentür ankamen, schlossen Handwerker das große Tor zum Kirchhof auf, die uns dann in die Kirche Einlaß gewährten. Soviele glückliche Zufälle können wohl kaum der Vorsehung zugeschrieben werden! So nutzten wir unseren Besuch in Mutters Taufkirche um Gott im Stillen für seinen Segen zu danken, den er unserer Fahrt zu den familiären Wurzeln geschenkt hatte.
Die Kirche in Großburg hat noch vieles von seiner historischen Ausstattung bewahrt. Schon die Tür zum Turmuntergeschoss ist mit der Jahreszahl 1579 bezeichnet. Das Kirchenschiff ist mit einer dreiseitig umlaufenden Barockempore ausgestattet, deren Füllungen mit biblischen Darstellungen bemalt sind. Der ebenfalls dem 17. Jahrhundert zuzuschreibende Altar mit einem figurenreichen üppig geschnitzen und in Silber gehaltenen Auszug auf dem Gebälk der Ädikula enthielt leider ein neues, Jesus im Nazarenerstil darstellendes Altarblatt und zwei halb von den Säulen der Ädikula verdeckte Heiligenfiguren sowie einen kreuzbekrönten weißen Schreintabernakel als katholische Zutaten. Die ohne Fuß an der Wand montierte Kanzel mit gedrehten Säulen und ornamentgeschmückten Füllungen an Korb und Aufgang entstand wohl gleichzeitig mit dem Altar. Einen besonderen Schmuck bildent die mit Arabesken bemalte Kassettendecke aus dem 17. Jahrhundert. Sie zeigt in einem von vier Kassettenfeldern gebildeten Herz drei Allianzwappen aus der Familie von Kanitz.
In einem Einkaufsmarkt in Großburg deckten wir uns auch mit einer Brotzeit ein – die Mittagszeit war schon lange überschritten. Beim Verlassen des Ladens – in dem wir von einer überaus inkompetenten und im Schneckentempo arbeitenden Verkäuferin aufgehalten worden waren – belästigte uns ein sehr aufdringlicher Bettler, den ich fast in die Autotür einklemmen musste, bevor er uns weiterfahren ließ. Halt machten wir erst wieder im nahen Kochern, wo wir einen Blick in den verfallenen Gutshof warfen. Erfreut stellten wir jedoch fest, dass wenigstens das Herrenhaus einen Herrn gefunden hatte, der sich darum kümmert. Es sah zwar noch sehr renovierungsbedürftig aus, stand aber in einem sehr gepflegten parkartigen Gelände. Hier schmeckte uns auch die Mittagsbrotzeit vorzüglich und bald ging es weiter über Dammelwitz, Klein- und Großpeiskerau, Würben und Göllnerhain (Gaj Olawski) nach Ohlau.
Hier führte uns das Navi zunächst über die Oderbrücke, von der – bzw. von deren Vorgängerin – Onkel Fritz so gerne auf vorbeifahrende Lastkähne, vor allem auf den von Onkel Paul, zu spucken pflegte – in die Ufergasse, wo im Haus Nr. 4 meine Großmutter Frieda Glemnitz 1905 das Licht der Welt erblickt hatte. Das Haus macht einen unbewohnten Eindruck, im Erdgeschoss war ein Fenster eingeschlagen, die Hoftür sah aus, als ob sie seit Glemnitz' Abzug nicht mehr oft aufgemacht worden ist. Dies ermutigte Mutter an diesem verklemmten Holztor zu rütteln, was postwendend von einer jüngeren Frau aus einem Fenster im 1. Stock der Giebelseite mit der – natürlich auf Polnisch gestellten - Frage quittiert wurde, was denn das solle. Als unser Dolmetscher das mütterliche Vorgehen zu erklären versuchte, erhielt er nur zur Antwort, dass dieses auch in Polen rechtlich nicht zu vertreten sei. So machten wir uns schnell aus dem Staub. Irgendwo zwischen dem Glemnitz'schen Wohnhaus in der Ufergasse und der nahen Oderbrücke, mag auch mein Urgroßvater Gustav Glemnitz begraben liegen. Sein behinderter jüngster Sohn Fritz, damals 23 Jahre alt, musste seinen verstorbenen Vater am Wegrand verscharren, weil die Oderbrücke zerstört und dadurch der Weg zum Ohlauer Friedhof versperrt war. Dieses Erlebnis hat unseren Onkel Fritz sein Leben lang beschäftigt. Doch war dieses Leid noch nicht genug; Fritz wurde noch von den russischen Besatzern misshandelt, weil er versteckte Wertsachen preisgeben sollte.
Doch nicht lange hingen wir trüben Gedanken nach, waren wir doch besonders gespannt auf den Ohlauer „Ring“ mit der berühmten Kunstuhr am Rathausturm. Wir stellten unser Auto am Schlossplatz ab, gönnten dem spätbarocken Schlossgebäude einen kurzen Blick und gingen dann zum Marktplatz, der mit den alten Bürgerhäusern – nur noch wenige alte Gebäude erinnern an die alte Pracht – auch seinen Charme eingebüßt hat. Nur das Rathaus-Ensemble erscheint in gut renoviertem Zustand. Da es zwanzig Minuten vor 16.00 Uhr war und wir den Ohlauer Tod in Aktion erleben wollten, kämpften wir uns durch Regen und Verkehr zunächst zu der dem Rathaus gegenüber liegenden Pfarrkirche. Deren infolge des verdunkelten Himmels ebenfalls recht dunkles Innere war leider nur durch ein Gitter von der Vorhalle aus zu betrachten. Zu sehen bekamen wir ein recht modernes Interieur und einige alte Grabsteine.
Um Vier zuckte dann der Sensensmann am Rathausturm dreimal mit der Sense – ich hatte mir das von Großmutter oft beschriebene Spektakel sensationeller vorgestellt! Dann machten wir uns vergeblich auf die Suche nach Ansichtskarten von Ohlau – wenigstens fand Mutter in einer Buchhandlung ein deutschsprachiges Kochbuch mit polnischen Küchengeheimnissen. Da am Ring auch – außer einem polnischen Pizzablitz - kein Gasthaus oder Café zum Verweilen und Stärken einlud, verließen wir Ohlau wieder; mit uns fuhr ein kollektives Gefühl der Enttäuschung, an dem nicht nur das immer feuchter werdende Wetter schuld war.
Die in Brieg noch vorhandene Abendsonne nutzte ich noch schnell für ein paar Fotos vom Rathaus, dann gingen wir in unser Hotel, wo wir uns erst einmal von den Anstrengungen dieses Marathontages ausruhen mussten. Das Abendessen genossen wir in der hoteleigenen Pizzeria.

Mutter vor der Gartenmauer in Dammelwitz
Das herrschaftliche Gutsgebäude in Dammelwitz vor 1945
An Stelle des Schlosses steht heute dieses Schulgebäude
Die Kirche von Würben
Das Innere der Kirche von Würben
Großpeiskerau
Gut Eulendorf
Die Kirche in Großburg
Der Innenraum der Kirche in Großburg
Ausschnitt der Kirchendecke
Die Oderbrücke in Ohlau

Das Glemnitz'sche Haus in der Ufgergasse

 

Samstag 03. Oktober 2009

Sonnenstrahlen schienen durchs Fenster, als mich der Wecker wieder um 6.45 Uhr aus dem Schlaf riss. Trotzdem dauerte es heute ziemlich lange, bis ich mich aus dem Bett quälte; so kam ich erst mit kleiner Verspätung zum Frühstück. Der heutige Vormittag gehörte der Stadt Brieg. Wir stellten unser Auto auf dem bewachten Parkplatz vor dem Rathaus ab und gingen dann erst einmal zur Nikolauskirche. Die ab 1370 errichtete Pfeilerbasilika überrascht durch ihr schmales, doch überaus hohes Hauptschiff. Die große und prachtvolle, in den Jahren 1725 bis 1730 erbaute Orgel und die steinerne Kanzel von 1593 suchten wir leider vergebens. Im Chor ist dafür ein schöner spätgotischer Schnitzaltar als Hochaltar aufgestellt. In den Seitenschiffen haben sich noch einige alte Grabdenkmäler erhalten; im nördlichen Seitenschiff zudem der prächtige Taufstein von 1576.
Über den Marktplatz, wo wir im Rathaushof noch Überreste der ehemaligen, aus schwrzen Ornamentmalereien bestehenden Wandfassung sehen konnten, ging es nun zum Schlossplatz. Da es noch nicht ganz 10.00 Uhr und das Schloss deshalb geschlossen war, besichtigten wir zunächst die vis á vis gelegene katholische Pfarrkirche, die bis 1801 den Brieger Jesuiten als Klosterkirche diente. Der prachtvolle Barockbau war von 1735 bis 1745 nach Plänen des bauverständigen Jesuitenpaters Joseph Frisch errichtet worden. Reiche Stuckaturen überziehen die Wände und Decke des Innenraumes, dessen monumentale Wirkung durch die geschickte perspektivische Deckenmalerei noch erhöht wird. Interessant auch der zu einem großen Teil als Wandmalerei ausgeführte Hochaltar.
Gegenüber der ehemaligen Jesuitenkirche fasziniert vor allem der neben den gotischen, in Ziegelbau aufgeführten Chor der Schlosskapelle St. Hedwig gesetzte Torbau des Schlosses. Der ab 1548 mit dem Umbau des Brieger Herzogsschlosses beschäftigte Italiener Jacob Baar schuf hier bis 1553 ein mit reicher Renaissance-Dekoration überzogenes Bauwerk. Der Architrav über den Portalen ist mit drei Wappen geschmückt. Zwischen denselben die Skulpturen des fürstlichen Bauherrn, Herzog Georgs II. von Brieg (1523 - 1586) und seiner Gemahlin Barbara (1527 - 1595), einer Tochter des Kurfürsten Joachim II. von Brandenburg. Darüber - zwischen der 1. und der 2. Etage, finden sich Reliefdarstellungen von 24 Vorfahren des Herzogs.
Das Tor vermittelt den Zugang zum prächtigen Innenhof des Schlosses, der auf drei Seiten in voller Höhe mit offenen, aus Sandstein gefertigten Laubengängen umgeben ist, während die dem Tor gegenüber liegende Seite von einer niedrigeren Mauer mit Tor zum Garten abgeschlossen wird. Ein großer Teil des Schlosses war 1741 im Zuge der Belagerung und Beschießung durch die Preußen zerstört und erst in den Jahren 1966 bis 1990 rekonstruiert worden. Heute beherbergt das Schloss das Piastenmuseum. In den Kellern des Ostflügels sind Grabmäler und Särge der schlesischen Piasten ausgestellt. Die Räume im Erdgeschoß des östlichen "Oderflügels" zeichnen sich besonders durch ihre prachtvollen Gewölbedecken aus; es muss sich um ehemalige Repräsentationsräume gehandelt haben. Hier befindet sich auch ein kleiner Raum mit dem an die Wand gemalten Stammbaum von Herzog Georgs Sohn Joachim Friedrich (1550 - 1602). Die Räume enthalten Exponate zur Geschichte Briegs und der Piasten. In den Räumen des 1. Obergeschosses sind Möbel ausgestellt, in der 2. Etage sakrale Kunst von der Gotik bis zum Barock.
Am Piasten-Gymnasium, einem von 1564 bis 1569 im Auftrag von Herzog Georg durch Jacob Baar errichteten Renaissance-Bau vorbei, ging es nun zurück zum Rathausplatz, wo wir im Ratskeller zu Mittag aßen. Am Nachmittag ging es dann über Zlobizna (Schüsseldorf) und Krzyzowice (Kreisewitz) nach Oborki (Schönfeld), wo wir die alte, zum großen Teil aus Holz errichtete Kirche leider verschlossen fanden. Auf dem Kirchhof befinden sich noch zahlreiche vom Gras überwucherte Grabeinfassungen und an der Kirchhofmauer ist Schutt aus zerbrochenen Grabsteinen aufgeschichtet. Durch Przlesia (Konradswaldau) gelangten wir nach wenigen Kilometern nach Pepice (Pampitz), wo die Familie Geppert von 1793 bis 1945 ansässig war. Den Aufzeichnungen des Pfarrers Richard Scholz zufolge (Briegische Heimatblätter, S. 199 f.) war das Anwesen Nr. 30 das Stammhaus der Familie; 1816 erwarb Christian Gottlob Geppert das Anwesen Nr. 34, das bis 1945 im Besitz der Familie blieb. Da Großvater Gerhard infolge eines Unfalls als Kind "lahm" war, sollte er nach dem Willen seines Vaters eigentlich Lehrer werden und sein Bruder Reinhold war als Erbe des Pampitzer Anwesens bestimmt. Da Gerhard jedoch unbedingt die Tradition seiner Familie fortsetzen wollte und Landwirtschaft studierte, ließ er sich sein Erbteil auszahlen und erwarb sich dafür 1937 einen Anteil des Herrschaftsgutes Dammelwitz. Leider haben sich auch in Pampitz die Hausnummern seit dem Zweiten Weltkrieg geändert, so dass es uns nicht möglich war, das Haus meiner Urgroßeltern zu ermitteln. Mutter erinnert sich noch an die an das Haus angebaute hölzerne Laube, in der sie Großmutters Apfelkuchen mit Resten von harten Kerngehäusen ("Apfelgriebsche") essen musste, was dem Kind damals gar nicht behagte.
Pampitz ist ein sehr großes Dorf; auch hier wird die Dorfstraße von alten Alleebäumen gesäumt. Die erhöht gelegene und mit einer steinernen Kirchhofmauer umgebene Kirche war verschlossen. Sie liegt etwa in der Mitte der beidseitig der Straße angelegten Siedlung. Die alte Bausubstanz zeigt sich weitgehend erhalten, wenn sie auch meist sehr sanierungsbedürftig ist.
Da der Tank unseres Mietwagens fast leer war, fuhren wir zunächst wieder zurück in Richtung Brieg. Über Konradswaldau und Bärzdorf (Bierzow) ging es nach Mollwitz (Malujowice), wo ich meinen Begleitern nicht nur über die erste Schlacht Friedrichs des Großen am 10. April 1741 berichtete, sondern wo wir vor allem die Kirche mit ihren großartigen Wandmalereien in Augenschein nahmen. Die Kirche, im frühen 14. Jahrhundert errichtet, ist von Westen her durch eine offene Vorhalle und ein reich gestuftes gotisches Portal zu betreten. Das Portaltympanon zeigt die Krönung Mariens und die Anbetung der hl. drei Könige. Das Innere des Kirchenraums ist auf allen Wandflächen mit biblischen Szenen und Heiligendarstellungen bemalt; die Malereien sind überwiegend im 14. und 15. Jahrhundert entstanden. Im Chor steht ein barocker Altar, daneben ein mit der Jahreszahl 1511 bezeichnetes Sakramentshäuschen, in dem heute das Ewige Licht brennt. Den Abschluss nach oben bildet eine üppig mit Ornamentmalereien überzogene, wohl ebenfalls noch spätmittelalterliche Holzbalkendecke.
Nach kurzem Tankstop und dem Besuch in einem Lidl-Einkaufsmarkt in Brieg ging es über Olszanka (Alzenau) nach Gierszowice (Giersdorf). Hier waren die Gepperts Erb- und Gerichtsschulzen und kamen gegen Ende des 18. Jahrhunderts in das nahe Pampitz. Leider konnte ich über das um einen geräumigen und nachträglich mit Häusern bebauten Dorfanger situierten Ort noch nicht viel in Erfahrung bringen. Am oberen Ende des Dorfangers steht die von einer Mauer und hohen Bäumen umstandene Kirche, in der sich die Gläubigen gerade zum Gottesdienst rüsteten. Nun ging es in das nahe Pogorzela (Pogarell), wo in der Kirche ebenfalls schöne Wandmalereien zu sehen sein sollen. Wir wollten aber den Gottesdienst nicht stören und fuhren deshalb wieder zurück nach Brieg, wo wir nach einer Ruhepause das Abendessen wieder in der Pizzeria im Haus einnahmen.


Sonntag 4. Oktober 2009

Am Sonntag Morgen trafen wir uns erst um 8.00 Uhr zum Frühstück. Schon kurz nach 9.00 Uhr konnten wir aufbrechen. Noch einmal machte ich einen kurzen Abstecher nach Pampitz, dann ging es auf die Autobahn in Richtung Görlitz. In Zgorzelec, dem polnischen Teil von Görlitz, wurde noch einmal getankt, dann ging es über die Lausitzer Neiße hinüber in den zu Sachsen gehörigen Stadtteil, wo wir die mächtige Peterskirche, die herrliche Altstadt und nach dem Mittagessen noch die Dreifaltigkeitskirche besichtigten.
Nach weiteren 3 1/2 Stunden Fahrt kamen wir gegen 17.00 Uhr in Bayreuth an, wo wir unseren Dolmetscher, der zum Gelingen unserer Fahrt wesentlich beigetragen hat, mit unserem herzlichsten Dank absetzten. Um 17.30 Uhr kamen wir dann wohlbehalten in Kulmbach an; die Reise zu den Wurzeln der Familie hatte ein glückliches Ende genommen.

Harald Stark

 

 
Der Rathausturm mit dem "Ohlauer Tod"
Das Brieger Rathaus vor 1945
Die selbe Ansicht 2009
Die Aussenfassade des Brieger Schlosstorbaues
Der rekonstruierte Innenhof des Schlosses in Brieg
Die Kirche in Mollwitz
Das Innere der Kirche in Mollwitz
Detail der Wandmalereien